Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
verschwommen. Man darf sie zurechtbiegen, oder zumindest die Art, wie diese Fakten den Leuten präsentiert werden. Und die Arbeit als solche? Unser Job? Sie können sich gar nicht vorstellen, wie frustrierend es sein kann. Wir kämpfen auf verlorenem Posten. Je härter wir daran arbeiten, wieder Gerechtigkeit ins Rechtswesen zu bringen, desto entschlossener verschreibt sich das Rechtswesen dem Ziel, echte Gerechtigkeit zu einem Luxus zu machen, den sich die wenigsten leisten können.«
»Glauben Sie das tatsächlich?«
»Ja, das glaube ich.«
»Warum machen Sie dann weiter?«
»Weil ich zu nichts anderem tauge. Das ist die Wahrheit. Ich tauge eben zu verdammt nichts anderem.«
»Und Ihr aktueller Fall?«
»Derselbe Mist wie immer. Ich jage Verbindungsdaten von einem zwei Jahre alten Handyaccount hinterher. Ich muss einen Kerl auftreiben, der für die Jugendbehörde gearbeitet hat und anscheinend verschwunden ist. Ich muss zurück zu Family Welfare South Two an der Adams Street und noch zwanzig Angestellte befragen. Ich muss versuchen, alle davon zu überzeugen, dass ein halbes Dutzend tote Mädchen zur selben Mordserie gehören, auch wenn es kaum schlüssige Hinweise dafür gibt, und erst recht keine Beweise.«
»Aber Sie sind davon überzeugt?«
»Ich habe mich zu der Überzeugung gebracht, dass ich überzeugt bin.«
»Und Ihre Tochter?«
»Was ist mit ihr?«
»Haben Sie mit ihr gesprochen, seit Sie chinesisches Essen durch ihr Treppenhaus getreten haben?«
»Daran möchte ich nicht erinnert werden. Und, nein, ich habe nicht mit ihr gesprochen.«
»Haben Sie versucht, Kontakt mit ihr aufzunehmen?«
»Nein.«
»Und Ihr Partner?«
»Wir arbeiten weiterhin zusammen.«
»Hat er sein Versetzungsgesuch noch einmal erwähnt?«
»Nein.«
»Haben Sie das Gefühl, dass Sie die Zusammenarbeit mit ihm fortsetzen können?«
»Sicher, er ist ein guter Typ. Er macht seine Arbeit. Er beschwert sich nicht.«
»Glauben Sie, dass Sie ihm etwas beibringen können?«
»Wenn er lernen will, ja.«
»Gut. Das ist gut.«
»Und wie geht es jetzt weiter?«
»Ich möchte noch ein wenig über Ihren Vater sprechen. Ich denke, er sollte so lange ein Thema sein, bis Sie sich damit ausgesöhnt haben, wie er war.«
»Wirklich?«
»Ja, das halte ich für wichtig.«
»Ich nicht. Nicht mehr.«
»Haben Sie ein bisschen Geduld mit mir. Ich denke, es gibt noch mehr über die Art und Weise zu entdecken, wie er Einfluss auf Ihr Leben genommen hat.«
»Klingt aufregend.«
»Gut, denken Sie einfach mir zuliebe ein bisschen darüber nach. Wir treffen uns morgen, und in der Zwischenzeit versuchen Sie, sich daran zu erinnern, wie er sich Ihnen gegenüber verhalten hat, was er Ihnen bedeutet hat, als Sie klein waren, und wie Ihr Standpunkt sich dann verändert hat, als Sie älter wurden. Diese Dinge würde ich gern mit Ihnen besprechen.«
»Gut … wenn Sie wollen.«
»Und wie schlafen Sie im Moment?«
»Ganz gut. Nicht schlecht, nicht großartig. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viel geträumt zu haben.«
»Das ist ein gutes Zeichen.«
»Warum?«
»Nun, für sich selbst genommen bedeuten Träume nicht besonders viel. Man sollte nicht allzu viel in sie hineinlesen. Ich weiß natürlich, dass es Traumanalyse und solche Dinge gibt, aber offen gesagt geht es dabei mehr um die Ansichten und Obsessionen desjenigen, der analysiert, als um irgendetwas anderes. Aber was die Träume tatsächlich anzeigen, ist, dass Ihr Innenleben aktiver ist als früher. Sollten Sie Albträume bekommen, helfen besseres Essen und weniger Alkohol.«
»Gestern habe ich überhaupt nichts getrunken.«
»Sehr gut.«
»Bekomme ich einen goldenen Stern für gute Fortschritte?«
»Ja, Frank, den goldenen Stern bekommen Sie.«
»Na also, Sie haben ja doch Sinn für Humor.«
»Das muss ein Gerücht sein, Frank. Und jetzt gehen Sie an die Arbeit. Wir sehen uns morgen früh.«
51
Theoretisch war Melissas Handy weiterhin funktionsfähig; die SIM-Karte darin ließ sich allerdings nicht mehr retten. Der winzig dünne Schutzfilm über der Platine war im Lauf der Zeit korrodiert, sodass die darunterliegende hauchzarte Metallschicht sich abgelöst hatte und Risse aufwies. Melissas Handtasche war nicht ganz so luft- und wasserdicht gewesen, wie Parrish sich erhofft hatte.
Nun, da sich das Handy als Sackgasse erwiesen hatte, blieb Parrish und Radick nichts anderes zu tun, als nach South Two zurückzukehren, um Dienststellenleiter Foley und die zwanzig
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