Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
Sie die Möglichkeit in Erwägung ziehen sollten, eine neue Beziehung zu beginnen.«
»Ist das eine indirekte Art, mir ein Rendezvous vorzuschlagen, Doktor? Denn, wissen Sie, wenn Sie sich mit mir verabreden möchten, dann brauchen Sie nur zu fragen.«
»Frank …«
»Ich weiß, ich weiß, ich mache bloß Spaß. Ich verstehe, was Sie meinen. Es klingt sinnvoll, aber heute ist Freitag. Ich denke, Sie sollten mir das Wochenende lassen, um diese Sache unter Dach und Fach zu bringen. Danach reden wir dann über all die Dinge, die Sie gerade genannt haben.«
»Haben Sie mir überhaupt zugehört?«
»Natürlich habe ich das, Marie, wofür halten Sie mich? Für einen Ignoranten?«
»Nein, Frank, ich halte Sie keineswegs für einen Ignoranten. Ich denke nur, wir sollten mit diesen Themen einen Anfang machen. Ich möchte nicht, dass wir nach den Fortschritten, die Sie gemacht haben, wieder ein Stück zurückfallen.«
»Ich werde nicht zurückfallen. Ich habe nicht vor, mich am Wochenende ins Koma zu trinken, falls es das ist, worüber Sie sich Sorgen machen. Dieser Fall wird zu einem Abschluss kommen, und sobald es so weit ist, werde ich Ihnen verdammt viel mehr Aufmerksamkeit schenken können.«
»Also das Wochenende?«
»Genau, das Wochenende. Morgen lassen wir unsere Sitzung ausfallen, Sonntag ist Sonntag, und wir treffen uns wieder am Montagmorgen.«
»Gut, wie Sie wünschen. Dann also Montag. Und denken Sie darüber nach, was ich gesagt habe. Sie wissen schon – die Zukunft, wie es für Sie weitergehen soll, neue Beziehungen … okay?«
»Okay.«
»Wunderbar. Dann ein schönes Wochenende, Frank.«
»Dafür werde ich schon sorgen.«
72
»Alles in Ordnung, Frank?«
Parrish blickte auf. Er hatte aus dem Fenster gestarrt, ohne zu bemerken, dass er nicht allein im Raum war. Radick musterte ihn fragend.
»In Ordnung? Natürlich ist alles in Ordnung. Warum fragen Sie?«
Radick zuckte die Achseln. »Sie sahen aus, als wären Sie ganz woanders.«
»Ich dachte über meinen Vater nach.«
»Was ist mit Ihrem Vater?«
Parrish lächelte trocken. »Nichts. Nichts ist mit meinem Vater, Jimmy.«
Was hätte er Radick erzählen können? Mein Vater war ein Verbrecher. Er war der Beste der Besten – nach außen hin – und in Wahrheit ein verdammter Verbrecher. Sicher war er ein guter Polizist, aber auch ein unglaublich korrupter.
Eine Stunde zuvor hatte Parrish Marie Griffins Büro verlassen. Seitdem hatte er an nichts anderes als an seinen Vater gedacht. Der große John Parrish. Er erinnerte sich an seinen Tod – an das, was offiziell darüber berichtet wurde, und an das, was wirklich geschehen war – und auch daran, wie er sich in diesem Moment gefühlt hatte. Es gab nur eine Art, dieses Gefühl zu beschreiben: Frank Parrish war erleichtert gewesen.
30. September 1992. In elf Tagen würde es sechzehn Jahre her sein. Manchmal kam es ihm wie gestern vor, und manchmal erschien es ihm wie eine Erinnerung aus einem früheren Leben. Parrish war achtundzwanzig Jahre alt gewesen und seit fast sieben Jahren verheiratet; Robert war damals sechs, Caitlin gerade vier Jahre alt. Clare war ihm noch weitgehend wie die Frau vorgekommen, die er geheiratet hatte, und nicht wie der Albtraum, zu dem sie sich im Lauf der Jahre entwickelte. Später, nach der Scheidung, hatte Parrish sich gefragt, ob der Tod seines Vaters ein bedeutsamer Faktor für den Anfang vom Ende seiner Ehe gewesen war. Clare und John hatten sich nahegestanden. John Parrish nannte sie die Tochter, die ich nie hatte . Clare hatte seinen Tod schwer verkraftet. Nach der Beerdigung hatte man sie unter Beruhigungsmittel setzen müssen, und den ganzen darauf folgenden Monat war sie in Joggingklamotten, mit ungewaschenen Haaren und kettenrauchend durchs Haus gegeistert und hatte sich schon nach dem Mittagesessen ihren ersten Wodka genehmigt. Doch relativ bald hatte sie sich gefangen, wobei ihr die Kinder weit mehr geholfen hatten als er selbst. Damals war er noch kein Detective gewesen – darauf musste er weitere vier Jahre warten – und hatte sich mit dem abgerackert, was man ihm als Weg zum Erfolg angepriesen hatte: Sonderschichten, Laufarbeit, Drecksarbeit, Routinearbeit. Was für ein Quatsch. Eine Beförderung zum Detective funktionierte weitgehend wie jede andere auch: Morgens zur Arbeit erscheinen und möglichst keinen Mist bauen.
Die Ereignisse jenes Tages standen ihm deutlich vor Augen, am heutigen Tag mit derselben Klarheit wie vor anderthalb Jahrzehnten.
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