Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
Wer immer sie getötet hatte, hatte beide getötet. John Parrish und seinen langjährigen Partner, George Buranski. George war oft zusammen mit seiner Frau Marie bei ihnen zu Hause aufgetaucht. Marie fiel vor allem durch ihre hoch aufgetürmten Haare und ihr billiges Parfum auf. Jedes Mal brachte sie einen Engelskuchen mit. Sie backte ihn selbst, und er schmeckte beschissen. Wie jemand es fertigbrachte, Engelskuchen so mies schmecken zu lassen, war Parrish immer ein Rätsel geblieben; ihr jedenfalls gelang es. Die beiden blieben ein paar Stunden, in denen Marie sich mit Franks Mutter Katherine unterhielt. Polizistenfrauen unter sich. Als könnten sie über Abhöranlagen im Wohnzimmer oder in der Küche alles mithören, wussten sie stets exakt Bescheid, worüber John und George sich besprachen, wenn sie im Arbeitszimmer seines Vaters zusammenhockten oder draußen im Garten mit ihren Buds und Burgern oder in Georges vor dem Haus abgestelltem Wagen. Denn die beiden verhielten sich verdammt paranoid. Manchmal verließ George mit einer braunen Papiertüte voller Bündel aus Fünfzig-Dollar-Noten das Haus. Manchmal war er es auch, der eine solche Tüte mitbrachte und sie im Haus von Franks Eltern zurückließ. Frank wusste, dass er nichts sagen, nichts fragen und bloß geradeaus schauen durfte. Er wusste, dass er Danke, Marie sagen musste, wenn sie ihm zum Geburtstag und zu Weihnachten eine Flasche Crown-Royal-Whiskey schenkte. So beschränkt waren diese Leute. Zehntausende Dollar, und alles, was sie kannten, waren Crown Royal und Engelskuchen. Billiges Pack.
September 1992 also. Jahrelang war es aufwärtsgegangen. Geld kam ins Haus, und relativ wenig davon wurde ausgegeben. Die Saints schafften Ordnung, wo immer sie auftauchten. Die Brooklyn Organized Crime Task Force untersuchte alles, was eine Untersuchung verdiente. Und die Abteilung für Interne Ermittlungen führte regelmäßige Überprüfungen durch und bescheinigte allen saubere Arbeit. Bis etwas schiefging. Bis heute war es Parrish nicht gelungen, genau zu rekonstruieren, was vorgefallen war, aber es betraf eine Bank auf der Lafayette Street nicht weit von der U-Bahn-Station Classon Avenue. Die Saints kümmerten sich grundsätzlich nicht um Routinearbeiten. Sie waren nicht die ausführenden Organe, sondern das Management. Kurz nach den Vorfällen hatte Parrish ein wenig herumgeschnüffelt und sich vorsichtig Einblicke in die Ergebnisse der internen Untersuchung verschafft. Jedenfalls war sein Vater irgendwie in die Angelegenheit verwickelt gewesen. Damals hatten sich die Vorgesetzten ganz offensichtlich Sorgen darüber gemacht, was Frank möglicherweise wusste oder ausplaudern würde. Das Letzte, was sie brauchten, war der selbst bei der Polizei arbeitende Sohn des höchstdekorierten OCCB/BOCTF -Veteranen, der sich auf Channel 9 öffentlich auskotzte. Auf den Fluren wurde er mit Blicken und Kommentaren überhäuft. Geht’s dir einigermaßen, Frankie? Zu Hause alles in Ordnung, Frankie? Hey, Frankie, was macht deine Ma? Kommt sie zurecht? So lief es eine Weile, bis sie begriffen hatten, dass ihnen von seiner Seite keine Gefahr drohte. Er würde alles für sich und unter dem Deckel halten und nichts nach außen dringen lassen.
Als sich die Situation beruhigt hatte, stellte Frank intensivere Nachforschungen an. Zunächst überprüfte er ganz vorsichtig, was die Berichte über den Überfall an jenem Mittwochnachmittag auf die East Coast Mercantile & Savings hergaben. Es war keine Bank aus der ersten Liga. Normales Tagesgeschäft, drei Geldautomaten an der Straße, einer drinnen; vier Kassierer, ein Kreditberater, ein Spezialist für Hypotheken und ein Berater für Geschäftskunden. Darüber hinaus gab es den Filialleiter, seinen Stellvertreter und einen Wachmann. Bei diesem handelte es sich um einen Expolizisten namens Mitchell Warner vom Revier an der 15th Street in Brooklyn. Offenbar war er der Verbindungsmann der Bankräuber gewesen. Ein winziger Umstand, der natürlich nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, sich aber zwischen den Zeilen herauslesen ließ, wenn man gewisse Umstände zu deuten wusste: dass Warner sich just zu dem Zeitpunkt auf der Toilette befand, als der Überfall losging; dass die Räuber offenbar wussten, dass er sich dort aufhielt, und jemanden vor der Tür postierten, der ihn dort erwartete; vor allem aber die Tatsache, dass er acht Stunden nach der Tat mit einer von eigener Hand abgefeuerten Kugel Kaliber .25 im Kopf in seinem Auto
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