Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
wären ihr die Neuankömmlinge nicht willkommen.
»Franks Exfrau«, setzte Radick noch hinzu, und Valderas erinnerte sich an eine Unterhaltung mit Frank, bei der dieser sich einmal über Clare Baxter geäußert hatte. Er ließ sich nichts anmerken, sondern lächelte, so freundlich er konnte, und wiederholte noch einmal sein Angebot, auf jede erdenkliche Weise zu helfen …
»Also, was konnten Sie in Erfahrung bringen?«, wandte sich Valderas an Radick.
»Sehr wenig. Er hat eine Stichverletzung, allerdings tief und im oberen Bauchbereich, und wurde sofort in den OP gebracht.«
»Ich habe vorher noch kurz mit ihm gesprochen«, warf Caitlin ein. »Er hat fantasiert. Eigentlich hat er nichts darüber gesagt, was passiert ist.« Sie hielt inne und betrachtete erst Jimmy, dann Valderas. Ihr Gesichtsausdruck sagte alles: Sie kämpfte mit ihren Gefühlen und stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. Sie wirkte verängstigt.
»Wissen Sie, was passiert ist, Sergeant?«, fragte sie.
Valderas schüttelte den Kopf. Was er wusste, gehörte nicht in ein Gespräch mit der Tochter des Mannes. Falls Parrish sich wirklich auf eigene Faust Zutritt zu McKees Haus verschafft hatte, würde er aus dem Polizeidienst entlassen werden, keine Frage. Nachdem ihm bereits das Gehalt gekürzt und der Führerschein entzogen worden waren … Dieser Gedanke löste eine weitere Frage aus – ob es vielleicht Parrish gewesen war, der ein Auto aus dem Fahrzeugpark entwendet hatte. Ein Auto fehlte, und in diesem Moment hätte Valderas einen Monatslohn darauf verwettet, dass Frank Parrish dahintersteckte. Also ging es um Diebstahl von Polizeieigentum, Fahren ohne Führerschein, Einbruchdiebstahl, illegale Durchsuchung, Belästigung eines Zeugen …
Valderas fuhr herum, als die Tür aufgerissen wurde.
»Robert!«, rief Caitlin und lief auf einen dunkelhaarigen jungen Mann zu. Die Ähnlichkeit mit Frank war unübersehbar. Das also war der Sohn.
In seinem Gefolge tauchte eine elegante Brünette Mitte dreißig auf. Sie sah großartig aus, ziemlich selbstsicher. Doch die verräterische Anspannung in ihren Zügen ließ erkennen, dass sie hier in eine Situation geraten war, die sie noch nicht richtig begriff.
Caitlin und Robert umarmten sich, dann fragte er, was passiert war und wie es seinem Dad ging, ob er wohlauf war, ob er durchkommen würde.
»Ich weiß nicht genug, eigentlich weiß ich gar nichts«, erklärte Caitlin.
Clare Baxter trat zu ihnen, und obwohl sie nichts sagte, war es offensichtlich, dass sie sich Sorgen machte; vielleicht mehr um die seelische Verfassung ihrer Kinder als um die körperliche ihres Exmannes.
Caitlin machte Robert mit Valderas, Jimmy Radick und Marie Griffin bekannt. Dann drehte Robert sich um und nickte Eve zu. Sie trat vor, ein wenig zögerlich vielleicht. Sie war offensichtlich fehl am Platze, jedenfalls fühlte sie sich so. Doch sie hätte in diesem Moment nirgendwo anders sein wollen.
»Das ist Eve Chancellor«, sagte Robert. »Dads Freundin.«
Eve lächelte und reichte allen wortlos die Hand.
Zu siebt also – die Exfrau, die Kinder, der Liebhaber der Tochter, die Psychotherapeutin, der Squad Sergeant und die Prostituierte – warteten sie auf Neuigkeiten aus dem Operationssaal. Frank Parrish war niedergestochen und zumindest schwer verletzt worden. Und außer warten konnten sie im Moment nichts tun.
Valderas und Griffin waren die Ersten, die sich setzten. Eve folgte ihrem Beispiel, und Robert nahm neben ihr Platz, so als fühlte er eine Art Verpflichtung, das Bindeglied zwischen ihr, seiner Familie und Franks beruflichem Umfeld abzugeben. Caitlin setzte sich neben Robert, Jimmy Radick saß neben ihr, und Clare Baxter ging im Zimmer auf und ab, als könne sie sich weder zum Bleiben noch zum Fortgehen entschließen. Schließlich erklärte sie: »Ich muss eine rauchen«, und verließ den Raum. Keine vier oder fünf Minuten waren vergangen, da kehrte sie in dasselbe unbehagliche Schweigen zurück, aus dem sie sich zurückgezogen hatte.
»Irgendwas Neues?«, fragte Clare Caitlin.
Valderas konnte die Spannung zwischen Mutter und Sohn förmlich spüren. Lag es daran, dass er Eve mitgebracht hatte. Lief noch irgendetwas zwischen Frank Parrish und Clare Baxter? Oder ging es hier um eine Sache ausschließlich zwischen Sohn und Mutter? Valderas wusste es nicht und konnte es sich auch nicht zusammenreimen. Im Prinzip war es ihm herzlich egal, doch immerhin konnte er sich mit diesen Gedanken von der Frage ablenken,
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