Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
einem Gesicht wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte, ging Clare Baxter langsam hinüber zu den Stühlen auf der anderen Seite des Raums und nahm dort Platz.
Die Stille war bedrückend, unbehaglich, aufgeladen.
»Ich kenne ihn«, erklärte Eve, und mit diesen drei Worten durchbrach sie nicht nur das allgemeine Schweigen, sondern alle wandten sich ihr zu. »Ich kenne ihn besser als jeden anderen, das ist mal klar.«
Sie legte eine kurze Pause ein, lächelte und wirkte für einen Moment heiter, als hätte sie sich an einen halb vergessenen Augenblick erinnert. »Als ich ihn das letzte Mal sah, hatte er drei Stunden damit zugebracht, irgendeinen Jugendlichen davon abzubringen, seine Freundin zu töten. Er gab sein Bestes, doch der Junge tötete das Mädchen trotzdem … erst das Mädchen und dann sich selbst.« Eve blickte auf. Sie schaute in jedes einzelne Gesicht. Dann schien sie sich wieder auf irgendeine unbestimmte Stelle in der Mitte des Raumes zu konzentrieren und lächelte versonnen. »Sie waren in einer Badewanne. Der Junge hatte das Mädchen bereits ins Bein geschnitten, in den Oberschenkel, verstehen Sie? Sie blutete ziemlich heftig. Dann schlitzte er ihr die Kehle auf und gleich im Anschluss seine eigene. Frank brauchte Gott weiß wie viel Zeit, um die beiden aus der Wanne zu bugsieren und wiederzubeleben. Doch er schaffte es nicht. Er gab sein Bestes, aber er schaffte es nicht.«
»Frank ist ein guter Cop«, warf Valderas ein. »Er hat seine Probleme, er hat seine Schwierigkeiten, aber er ist einer der Besten.«
»Wie sein Vater«, sagte Radick.
Valderas lächelte wissend.
»Was denken Sie?«, fragte Caitlin.
»Nichts«, erwiderte Valderas.
»Doch, sagen Sie es mir«, beharrte sie. »Sagen Sie mir, was dieses Lächeln bedeuten sollte.«
»Es ging nur um dieses alte Team, zu dem Franks Vater früher gehörte. Man nannte sie die Saints of New York. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, das organisierte Verbrechen aus New York zu vertreiben. Keine Frage, Frank kommt aus einem guten Stall.«
Marie Griffin öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Am liebsten hätte sie etwas gesagt, hätte ihnen von der Lufthansa erzählt, von den unaufgeklärten Morden an Joe Manri und Robert McMahon, von Franks wahren Gefühlen seinem Vater gegenüber. Doch das durfte sie nicht.
»Er ist ein guter Detective«, sagte Jimmy Radick. »Ich meine, wir haben ja nur – wie lange? – knapp drei Wochen zusammengearbeitet. Aber in der Zeit habe ich eine Menge von ihm gelernt …«
»Weiß Frank, dass Sie mit seiner Tochter schlafen?«
Radick schaute zu Clare Baxter auf.
»Mom! Mein Gott, was hast du für ein Problem?«
Clare Baxter war wütend. Mit funkelnden Augen musterte sie Valderas. »Ist das im New York Police Department überhaupt erlaubt?«
»Es geht uns nichts an, Mrs Baxter. Wir kontrollieren nicht das Privatleben unserer Beamten, solange keine Gesetze gebrochen werden.«
Radick war sprachlos. Was war los mit dieser Frau? Hasste sie Frank? Hasste sie ihre Kinder? War sie eifersüchtig oder vielleicht ängstlich wegen irgendetwas? Er nahm sich vor, Frank, falls er wieder gesund wurde, zu seiner Scheidung von dieser verrückten Hexe zu gratulieren.
»Genau, Mom. Es geht dich nichts an«, sagte Caitlin. »Wir sprechen jetzt über Dad, nicht über dich. Begnüg dich ausnahmsweise mal damit, nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, okay?«
Valderas warf Marie Griffin einen Hilfe suchenden Blick zu. Sie hob nicht mal eine Augenbraue, das war auch nicht nötig. Ihre Blicke sagten alles. Die ganze verdammte Familie war komplett verrückt. Kein Wunder, dass Frank Parrish die Arbeit manchmal schwerfiel.
»Und wer, um alles in der Welt, sind Sie?« Clare Baxter hatte sich Eve zugewandt.
Eve lächelte.
»Ich bin Eve«, sagte sie. »Eve Chancellor. Ich bin eine sehr, sehr teure Hostess, aber Frank kommt ab und zu bei mir vorbei und bekommt es umsonst.«
Ungläubig und mit offenem Mund starrte Clare Baxter sie an. Robert lachte. Valderas konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Eine ganze Weile sagte niemand etwas.
Schließlich suchte Clare Baxter demonstrativ in ihrer Handtasche nach Zigaretten. Als sie sie fand, stolzierte sie aus dem Raum wie ein bockiges Kind.
»Gott im Himmel«, sagte Robert und wandte sich an Eve: »Das tut mir sehr leid.«
Er suchte Augenkontakt zu Valderas, Griffin und Radick. »Sie steht unter Stress, Mann, ernsthaftem Stress. Ich weiß nicht, was,
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