Der Schrei des Eisvogels
ich nicht sagen. Da musst du schon Larry fragen.«
»Vielleicht auch nicht«, sagte er und betrachtete sie nachdenklich. »Hier ist übrigens seine Urkunde zurück. Sehr interessante Idee von dir, aber wie vorhergesagt übersteigt das mein eingerostetes juristisches Wissen bei weitem. Ich habs einem Busenfreund gefaxt, der weitaus besser imstande ist, dazu Stellung zu nehmen. Ich geb dir Bescheid, sobald ich von ihm höre. Kann natürlich sein, dass Larry in der ganzen Sache schon viel weiter ist als du. Vielleicht war es das, worauf er gestern abend hinauswollte.«
»Ja, vielleicht.« Der Gedanke schien ihr zu gefallen. »Ich glaube, ich bring ihm das eben rüber und lass eine Bemerkung fallen.«
»Kee, du passt auf dich auf, ja?«, sagte er mitfühlend.
»Wie bitte?«
»Ich hab dich sehr gern, das ist alles. Sieh mal, manchmal kann es besser sein, ins kalte Wasser zu springen, etwas zu riskieren und hinter sich zu bringen. Aber wähle den richtigen Augenblick. Du musst nachher weiterleben, egal, was passiert.«
»Was, in aller Welt, redest du da, Edwin?«, fragte sie sehr beherrscht.
»Ach, nichts Besonderes. Von Geld vielleicht. Investitionen. Regiert nun mal die Welt, hast du gesagt. Ist Caddy oben?«
»Ja. Du willst zu ihr? Du kannst ihr sagen, dass ich für eine Weile weg bin. Nicht, dass es irgend etwas bringt!«
»Nein, vermutlich nicht«, sagte Digweed.
Er lief leichtfüßig die Treppe hinauf und ging zielstrebig ins Atelier, ohne anzuklopfen.
Caddy stand vor ihrem Porträt von Wield und musterte es kritisch.
»Du liebe Zeit«, sagte Digweed. »Ist das der, von dem ich glaube, dass er es ist? Natürlich ist er das, so einen gibt’s kein zweites Mal!«
»Hi, Edwin«, sagte sie. »Irgendwas fehlt.«
»In der Tat. Und bei deiner Kreuzigung auch, wie ich sehe. Hast du dich entschieden, wessen Gesicht das Loch da stopfen soll?«
»Wer immer reinpasst«, sagte sie unbestimmt. »Wolltest du was Bestimmtes?«
»Wollte dir nur sagen, die Sache mit dem Einband, das ist jetzt erledigt. Alles unter Dach und Fach. Okay?«
»Wenn du meinst«, sagte sie gleichgültig.
»Ja, meine ich. Caddy, was genau versuchst du hier zu malen?«
Sein Blick war von dem leeren Oval über dem wohlgeformten Torso zum Hintergrund gewandert. Durch einen perspektivischen Trick war Scarletts direkt unter die Schule verlegt. Halavant, in der Begleitung von Fop, aus dessen Maul ein Fetzen blutbeflecktes Tuch heraushing, blickte Richtung Anger, wo der Bauunternehmer Phil Wallop, der in der letzten Fassung triumphierend neben einer Betonmischmaschine gestanden hatte, zu einem blassen Schatten übermalt worden war, während seine Beine mit der karierten Hose jetzt in leuchtenden Farben aus dem Schlund der Maschine baumelten.
»Was ich sehe«, sagte sie. »Oder auch die Zeit. Wie eine Sache an die Stelle einer anderen tritt, aber nichts wirklich verschwindet. Jedenfalls hier nicht. Aber es ist trotzdem nicht richtig geworden. Man kann so leicht etwas übersehen, nicht?«
Sie stand wieder vor Wields Porträt.
Digweed sagte ermunternd: »Es ist gut, ehrlich. So ein eigentümliches Gesicht. Gott, mit dem möchte ich nicht Poker spielen!«
»Ja, ich glaube, er ist ein Mann, der sich in Schweigen hüllt, wo du redest …«
Sie ließ den Satz im Raum stehen und fing zu lachen an.
»Das ist es, natürlich! Danke, Edwin.«
»Wofür?«, fragte er. Erst verwundert, dann ungläubig sah er abwechselnd Wield und sie an.
»Caddy, falls du damit sagen willst, was ich glaube, das du sagen willst, nein, das ist absurd …«
»Natürlich, aber ist nicht alles absurd? Ist also ganz in Ordnung.«
Sie griff nach dem Pinsel und der Palette und trat an das Gemälde heran. Mit dem Fuß stieß sie einen halbvollen Becher kalten Kaffee um, doch sie merkte es nicht und nahm Wields Augen in Angriff.
Digweed ging. Es hätte wenig Sinn gehabt zu bleiben. Als er die Straße überquerte, bemerkte er die drei Polizisten, die sich vor der Post versammelt hatten. Vielleicht, dachte er unbarmherzig, hatten sie Wylmot dabei erwischt, wie er Postanweisungen manipulierte.
Er eilte in seinen Laden und die Treppe hinauf in sein Computerzimmer. Er war kaum drinnen, als die Ladenklingel schellte. »Verdammt«, sagte er, während er auf den Treppenabsatz trat und hinuntersah.
»Morgen«, sagte Wield. »Nein, Sie brauchen nicht runterzukommen. Ich komm hoch. Ich hab was für Sie.«
Er nahm zwei der hohen Stufen auf einmal. Auf dem Absatz blieb er stehen und
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