Der Schrei des Eisvogels
schnupperte. Es lag ein pikanter, ziemlich würziger Geruch in der Luft.
»Ich störe hoffentlich nicht beim Essen?«, sagte er.
»Da ich eben erst zur Tür hereingekommen bin und es gerade mal elf ist, wäre das wohl etwas ungewöhnlich«, sagte Digweed in seiner besten bissigen Manier, um im selben Moment in einen freundlicheren Ton umzuschlagen. »Es ist diese winzige Küche. Der Essensgeruch scheint ewig hängenzubleiben. Kommen Sie hier herein.«
Er ging in das Computerzimmer und riss das Fenster auf.
»So. Jetzt können wir den Frühling riechen. Ist das nicht ein herrlicher Tag? Natürlich wie immer zur Abrechnung. Nun, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie können feststellen, ob das Ihre sind«, sagte Wield und reichte ihm die Bücher.
»Ja, das sind sie tatsächlich. Gut gemacht. Wo haben Sie sie gefunden?«
»In Jason Tokes Schlafzimmer«, sagte Wield.
»Ach so. Der arme Junge. Ich hatte mich schon gefragt … Ich hab ihn im Laden beobachtet, wie er sich den
Krieger
und andere militärische Bücher angesehen hat. Auch den Thorburn … aber den Renoirkatalog konnte ich mir nicht erklären. Wo ist der übrigens?«
»Leider noch in seinem Besitz. Der war nicht für ihn selbst bestimmt. Den hat er gestohlen, um ihn Caddy Scudamore zu schenken.«
»Natürlich. Er ist von ihr besessen. Das arme Kind.«
»Er oder sie?«
»Jason selbstverständlich. Ich denke, wenn Sie Caddy ein bisschen besser kennen, werden Sie feststellen, dass es wahrlich nicht auf sie zutrifft. Hören Sie, Sergeant, ich möchte den Jungen wirklich nicht noch mehr belasten, als er mit seinen Problemen ohnehin schon geschlagen ist. Ich bin nicht darauf erpicht, ihn zu verklagen.«
Wield runzelte die Stirn und sagte: »Vielleicht tun Sie ihm damit aber gar keinen Gefallen. Wenn er vor Gericht erscheinen muss, werden seine Obsessionen einem Psychiater kaum entgehen.«
»Sie meinen, er muss behandelt werden? Weil er verliebt ist und davon ausgeht, dass das England der Neunziger ein gefährlicher unzivilisierter Lebensraum ist? Aber, aber, Mann. Danach wären, fürchte ich, fünfzig Prozent der Bevölkerung krank.«
»Fünfzig Prozent der Bevölkerung sind nicht von Waffen und Überlebenstechniken besessen«, sagte Wield. »Aber das müssen Sie selber entscheiden. Ich bezweifle allerdings, dass Mr. Wylmot Lust hat, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, wenn wir den Jungen mit dem Postraub in Verbindung bringen.«
»Jason und die Post? Aber das ist einfach absurd!«
»Wieso sagen Sie das?«, fragte Wield.
»Na ja, ich weiß nicht, es scheint mir nur so. Ich meine, Sie haben nichts in der Intake Cottage gefunden, was darauf hindeutet, dass er was mit der Sache zu tun hat, oder?«
»Nein«, räumte Wield ein. »Aber dieselbe Handschrift. Wie auch immer, Sir, kein Grund, Sie damit zu behelligen. Ach übrigens, nochmals vielen Dank für gestern abend. Das Buch, der Bourbon, ’ne gute Idee. War wirklich nett. Hat richtig Spaß gemacht.«
»Mir auch«, sagte Digweed und reichte ihm, zu Wields Erstaunen, die Hand. Vielleicht war das die Art, wie die gehobene Mittelschicht einem signalisierte, dass sie einen nicht für gänzlich ungehobelt hielt. Seine Hand war kühl und trocken, sein Griff fest.
»Sergeant …«
»Ja?«
»Vielleicht kann ich später vorbeikommen und meine Gläser holen?«
»Tut mir leid, die hab ich ganz vergessen. Ja, sicher. Oder ich bring sie Ihnen vorbei.«
Er trat in den Flur. Der würzige Geruch war stärker denn je. Die Tür zur winzigen Küche stand weit offen, doch der Geruch schien nicht von dort zu kommen. Und es roch mehr nach Kräutern als nach Gewürzen.
Wields Nase schnupperte in eine sehr merkwürdige Richtung, im olfaktorischen wie im metaphorischen Sinne.
Er sagte: »Nichts dagegen, wenn ich mal Ihr Klo benutze?«
Und ohne eine Antwort abzuwarten, ging er durch die halboffene Tür zum Badezimmer. Er wusste sofort, dass er recht hatte. Von hier kam der Kräutergeruch; genauer gesagt, aus einem hohen Wandschrank.
Er zog die Schranktür auf. Er beherbergte den Heißwassertank sowie ein paar Fächer zum Wäschelüften. Er schob einen Stapel Unterhosen beiseite.
Und da, dicht neben dem Heißwassertank, war der Urheber des verräterischen Aromas, ein kleines Päckchen mit einer Wimbledoner Adresse, in dem sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Stück der Kräuterpastete befand, die Mrs. Hogbin einmal die Woche an ihren Neffen schickte. Daneben lag noch ein an eine Versandfirma
Weitere Kostenlose Bücher