Der Schrei des Eisvogels
»Natürlich gibt es einschränkende Vertragsklauseln. Ausschließlich für Wohnzwecke. Man kann es auch positiv sehen: Niemand macht seinen eigenen Hinterhof zum Saustall.«
»Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen, Larry«, sagte sie. Dann dämmerte es ihr. »Das hat doch nicht zufällig etwas mit dem Kostenvoranschlag für den Dorfanger zu tun, von dem mir Edwin gerade erzählt hat? Hat es doch, nicht wahr? Mein Gott, Wallop macht uns noch zu einer Vorstadt!«
Ihr Gesicht wurde rot vor Wut, sie trat mit energischen Schritten aus der Terrassentür und eilte über den Rasen davon. Lillingstone lief ihr hinterher und holte sie an dem Torbogen ein, der auf den Friedhof führte. »Schau mal, wenn der Anger verkauft wird, dann auf dem freien Markt. Es wird noch andere Interessenten außer Wallop geben.«
»Andere Baulöwen, meinst du!«
»Niemand wird ohne Baugenehmigung die Summe aufbringen, die wir brauchen. Das muss Hobson entscheiden, Kee, entweder die Schule oder der Anger. Aber ich bin nicht Hobson, selbst der Gemeinderat ist nicht Hobson. Das ganze Dorf wird morgen abend in der Sitzung die Wahl treffen.«
Sie gingen weiter über den gepflegten Friedhof, bis sie an einen zweiten Torbogen, diesmal mit dem Wappen und dem Wahlspruch der Guillemards, kamen, der den Beginn des Privatwegs vom Herrenhaus zur Kirche markierte. Er war als Green Alley bekannt und war hundert Jahre zuvor ein breiter Kiesweg gewesen, auf dem Frauen in voluminösen Röcken am Arm voluminöser Herren zwischen Lorbeer-, Schneeball-, Flieder- und Rhododendronstauden lustwandeln konnten. Doch die Lohnkosten waren gestiegen und der Preis für Gottlosigkeit gefallen, so dass die Green Alley nach und nach zu einem matschigen Trampelpfad, kaum breiter als ein Schafspfad, verkommen war.
Hier drehte sie sich um. Die Wut in ihrem Gesicht war verflogen, sie streckte die Hand aus und berührte mit ihren kühlen Fingern seine Hand.
»Tut mir leid, Larry. Es steht mir nicht zu, dich so anzufahren. Hier ist etwas im Gange – die Schule, das Pfarrhaus, der Anger, Old Hall – etwas, das außer Kontrolle geraten könnte, wenn wir nicht zusammenhalten und unseren Verstand benutzen. Kannst du mir noch mal verzeihen?«
»Natürlich«, sagte er. Ihr aufrichtiger Blick, ihr kluges Lächeln, ihr verständnisvoller Ton, die kühle Berührung ihrer Finger machten ihm bewusst, welche Achtung und Bewunderung er für sie empfand. Schon ein paar Mal war er nahe daran gewesen, ihr sein Herz auszuschütten und seine Gefühle für Caddy anzuvertrauen. Doch jedesmal war etwas dazwischengekommen. Dies hier schien nun endlich der ideale Zeitpunkt, der ideale Ort zu sein.
Er holte tief Luft und schloss die Augen.
»Kee«, sagte er leise. »Ich bin leidenschaftlich, wahnsinnig und hilflos in Caddy verliebt.«
Er machte die Augen auf und merkte, dass er mit Kees Rücken redete, der sich weiter von ihm entfernte. Aber jetzt, wo er schon einmal so weit gekommen war, wollte er auf keinen Fall aufgeben. Unerschrocken stürzte er ihr den schmalen Pfad entlang nach, bis sie eine kleine Lichtung erreichte, wo sie stehen blieb und sagte: »Entschuldige, Larry, hast du etwas gesagt?«
»Ja«, entgegnete er und behielt diesmal die Augen offen. »Ich wollte dir sagen, dass …«
»Wie eigenartig«, sagte Kee.
»Eigenartig? Wieso?«, fragte Lillingstone, dem die Bemerkung wie eine vorweggenommene Antwort auf sein Geständnis erschien.
»Die Mütze«, sagte sie.
Er wusste, dass er keine Mütze trug. Dennoch fuhr seine Hand unwillkürlich zum Kopf.
»Da!«, sagte sie ungeduldig.
Er folgte ihrem Zeigefinger. Die Funktion dieser Lichtung war nicht schwer zu erraten. Hier hatten jene spazierenden Damen und Herren von Erschöpfung, Zuneigung oder gar Liebe überwältigt, auf einer Zweierbank aus Granit verweilen können. Mittlerweile war sie bis zur Unkenntlichkeit von Flechten und Efeu überwuchert, doch ein strategisch plazierter Marmorfaun diente als Wegweiser und äugte ermutigend über die Köpfe scheuer Liebespaare. Wer weiß, zu welch leidenschaftlichen Ausbrüchen jener lüsterne Zeuge vor hundert Jahren provoziert haben mochte?
Heute dagegen wirkte er gänzlich ernüchternd. Laurence Lillingstone war Pfarrer genug, um ein Zeichen zu erkennen, wenn ihm eines erschien.
Dann war dies also doch nicht der rechte Zeitpunkt und Ort, um eine verbotene Liebe zu beichten.
Nicht in Gegenwart einer Marmorstatue mit einer Polizeimütze auf dem Kopf.
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Zweiter
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