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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Band
     

Prolog
    Aus dem Tagebuch von Frances Guillemard
    29. August 1931.
Nach der Sitzung des Schulausschusses heute abend bat mich Stanley, noch zu bleiben und ihm bei einiger Korrespondenz zu helfen. Kaum waren wir allein, machte er mir stammelnd und gestelzt einen Heiratsantrag! Das passte so wenig zu ihm, dass ich lachen musste und ihn fragte, ob er Trollope gelesen habe, woraufhin er mich an sich riss und mich so heftig küsste, dass ich dachte, mir bliebe die Luft weg, aber ich wollte nicht, dass er aufhört. Danach wäre ich am liebsten die ganze Nacht bei ihm geblieben. Jedenfalls bin ich sehr spät nach Hause gegangen und war auf einigen Tadel gefasst (24, und ich werde immer noch getadelt!), aber wie sich herausstellte, hatte Selly etwas ausgefressen, das allen Unmut auf ihn konzentrierte, und ich konnte mich fast unbemerkt in mein Zimmer hochschleichen.
    Ich wollte nur an diesen Abend denken und mein Tagebuch schreiben, doch Guy erschien im Morgenmantel und machte seinem Unmut darüber Luft, dass er um neun ins Bett geschickt worden war, weil er Fragen gestellt hatte, als der Streit anfing. Er fand dies entschieden unter der Würde eines jungen Mannes von dreizehn Jahren! Er vermutete, dass die Sache etwas mit Agnes, dem Dienstmädchen, zu tun hat, und sagte, Vater habe einen gewaltigen Wutausbruch gehabt und, wie immer, wenn Selly in der Klemme steckt, davon gesprochen, ihn ›zum Erwachsenwerden‹ zu Onkel Jack zu geben! Ich hatte das Gefühl, dass Guy, abgesehen von seinem verletzten Stolz, nicht allzu unglücklich darüber gewesen wäre, als einziger Sohn des Hauses zurückzubleiben, sich das beste Pferd rauszusuchen und derlei Dinge. Aber vermutlich kommt es erst gar nicht dazu.
     
    30. August.
Bin heute morgen zu Selly ins Zimmer gegangen, und er war dabei, seine Sachen zu packen. Diesmal ist es wahr. Er soll ein paar Wochen bei Großtante Meg in der Gilbert Street verbringen, und dann geht’s ab nach Neuseeland, um alles über Schafe zu lernen! Also, wenn es etwas gibt, von dem wir in Eendale mehr als genug haben, dann Schafe! Er hat ein solches Geheimnis aus dem Anlass für seine Verbannung gemacht und hat sich am Ende dermaßen aufgeplustert, dass wir uns gestritten haben. Was um Himmels willen tun sie denen an der Schule und am College ins Essen, dass sie glauben, ein junger Idiot, der die meiste Zeit seines Lebens mit anderen jungen Idioten eingesperrt war, wüsste mehr vom Leben als jede Frau, die nicht mindestens vierzig und eine Respektsperson ist?
    Später habe ich es aus Mummy rausbekommen. Guy hatte recht (wie meistens, die Petzliese), und Selly hat sich mit der kleinen Agnes Foote »schlecht benommen«. Agnes haben sie natürlich gefeuert und zu ihrer Familie in Byreford zurückgeschickt. Ich hab gesagt, dass mir das alles ein bisschen übertrieben vorkomme – Selly am anderen Ende der Welt und Agnes in Schande davongejagt, nur wegen ein bisschen Rumknutschen. Mummy hat bei diesem Ausdruck tief nach Luft geschnappt! Das Problem sei, sagt sie, dass Selly die Sache zu ernst nehme und von Liebe redete. Agnes sei viel vernünftiger gewesen (erstaunlich, wieviel Vernunft von Bediensteten erwartet wird!), und ich bräuchte mir um sie keine Sorgen zu machen. Hatte nicht das Gefühl, dass dies der richtige Augenblick war, um das zwischen mir und Stanley zur Sprache zu bringen, besonders, da ich wusste, dass Vater ihn bereits als »modern« abgestempelt hatte, was nur einen Hauch besser war als totale Dekadenz!
     
    24. September.
Heute war ein schrecklicher Tag. Nach Sellys Abreise letzte Woche hatte ich mir eingebildet, Vater sei ein bisschen milder gestimmt, als ob ihm die Härte gegenüber seinem Sohn und Erben leid täte. Auch wenn er viel zu starrköpfig war, um seine Meinung zu ändern, schien er zu einer freundlicheren und vernünftigeren Haltung gegenüber dem Rest der Familie bekehrt worden zu sein. Also hab ich ihm von Stanley und mir erzählt. Oder besser gesagt, feige wie ich bin, habe ich es Mummy gesagt und es ihr überlassen, die Neuigkeit weiterzugeben. In dem Moment, als ich den Wutschrei aus den Pferdeställen hörte, wusste ich, dass ich mich verkalkuliert hatte! Mummy konnte gerade noch verhindern, dass er mich in mein Zimmer einsperrte und mit einer Reitpeitsche zum Pfarrhaus stürmte. Aber wenigstens ist es raus. Ich bin ganz ruhig. Jetzt gibt es nichts mehr, was mich daran hindern könnte, Stanley zu heiraten. Es ist zu blöd, aber das einzige, was mir wirklich

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