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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Drucker, ein Kopiergerät, eine Bindemaschine und ein paar andere Bürogeräte. Auch hier gab es Bücherstapel, doch nicht dieses Treibgut, das auf der Treppe und im Flur herumlag. Diese hier waren funkelnagelneu; tatsächlich hatten einige noch nicht einmal ganz das Licht der Welt erblickt.
    »Hier ist er nicht reingekommen, Sergeant«, sagte Digweed irritiert. »Wie ich sehe, ist alles in Ordnung.«
    »Kann trotzdem nicht schaden. Das Zeug ist schon ein paar Schilling wert, oder?«, fragte Wield. »Sie verlegen auch selber, nicht wahr?«
    »In bescheidenem Umfang. Können wir jetzt …«
    »Das ist hübsch«, sagte Wield und nahm ein schmales Bändchen in die Hand, das den Titel trug
An den Ufern der Een – mit einem Naturfreund durch das Jahr
. Der Autor hieß Ralph Digweed.
    »Ein Verwandter, Sir?«
    »Wie scharfsinnig kombiniert«, sagte Digweed. »Es ist 1914 als Privatdruck erschienen. Ich dachte, ich sollte es einem größeren Leserkreis zugänglich machen.«
    Wields Gedanken wanderten zu dem Kriegerdenkmal zurück. Es hatte ein R. Digweed darauf gestanden, gefallen 1918, im Alter von achtundfünfzig Jahren. Wahrscheinlich logen nicht nur die Jungen in bezug auf ihr Alter. Er schlug das Buch auf.
    21. März 1913. Gestern abend hat der Squire mit uns die Geburt seines Erben gefeiert. Ein paar Witzbolde erinnerten daran, dass vor vier Jahren, als wir Miss Frances’ Ankunft feierten, schon vor Mitternacht das Bier ausging. Seltsam, wie die Guillemards bei der Geburt so billig veranschlagen, wofür sie, wenn’s ans Heiraten geht, einen unerschwinglichen Preis verlangen! Dagegen hat natürlich die Geburt eines Sohnes die Krüge von Old Hall in die unerschöpflichen Ölkrüge der biblischen Witwe verwandelt, und es wurde bis in die frühen Morgenstunden gefeiert, und in ein paar Tagen soll es beim Abrechnungsfest weitergehen. Aber dafür wollte ich meine alte Gewohnheit, den ersten Frühlingstag an der Eenbucht bei Scarletts zu begrüßen, nicht opfern, und so saß ich im Wohnzimmer, schmunzelte über Arnold Bennetts Roman
Eine tolle Nummer,
ein Geschenk des kleinen Edwin, bis die aufgehende Sonne den Himmel rosa färbte und ich mich auf den Weg zum Fluss begab.
    Als Wield den Blick hob, merkte er, dass Digweed ihn aufmerksam beobachtete.
    »Tut mir leid«, sagte er. »War ganz vertieft. Wirklich interessant. Dieser Edwin …«
    »Nein«, sagte der Buchhändler. »Trotz meines ramponierten und lädierten Einbands bin ich nicht der kleine Edwin.«
    »Hatte ich auch nicht angenommen«, sagte Wield. »Ihr Vater, nicht wahr? Und Ralph war Ihr Großvater? Ich hab mir dieser Tage das Kriegerdenkmal angesehen …«
    »Ja, der Krieg. Ironischerweise hat er fünf Jahre später am ersten Frühlingstag wieder am dunstigen Ufer eines Flusses auf das Morgengrauen gewartet. Es war die Oise. Aber das einzige Grauen kam von den deutschen Gewehren, als Ludendorffs Armee ihre letzte Großoffensive unternahm, die beinahe den Krieg für sie entschieden hätte. Eine Stunde später war er tot. Dieses Buch, das er erwähnt,
Eine tolle Nummer
, befand sich unter seinen Sachen, die nach Hause geschickt wurden. Später habe ich es geerbt. Es war meine erste richtige Erstausgabe. Man könnte sagen, dass es mich auf den Weg brachte, den ich schließlich nahm. Demnach war der Erste Weltkrieg vielleicht doch zu etwas gut.«
    Er sprach mit seinem charakteristischen, trockenen, leicht ironischen Tonfall, doch es fiel Wield nicht schwer, den unterschwelligen Schmerz und die Wut herauszuhören und mit ihm zu fühlen, als er an jenen anderen Digweed dachte, dessen Gedanken zum fernen, friedlichen Enscombe und dem klaren Wasser der Een wanderten, während er in einem kalten, nassen Schützengraben stand und dem Tod entgegensah.
    Doch war es ratsam, dem Buchhändler sein Mitgefühl nicht zu zeigen. Wields Blick fiel auf einen Stapel loser Titelblätter mit einer bemerkenswerten Zeichnung von einer Frau, die durch einen Torbogen mit Blumengirlanden und den verschlungenen Worten
Aus dem Tagebuch der Frances Guillemard Harding
schritt.
    In seinem Kopf arbeitete es.
    »Diese Frances, von der er spricht …«, sagte er und wies dabei auf das Buch von Ralph Digweed.
    »Genau die. Die große Schwester unseres Squires Selwyn.«
    »Und in welcher Verwandtschaftsbeziehung steht sie zu dem Mädel oben in der Hall?«
    »Ach, Sie haben die kleine Fran kennengelernt? Ihre Großmutter, die in den Dreißigern den hiesigen Pfarrer heiratete.«
    »Und deshalb

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