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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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zurück. »Vielleicht haben Sie die Güte, irgendwann einmal dieses Geheimwissen mit mir zu teilen. Fürs erste sehen Sie zu, dass Sie da reinkommen, bevor Mr. Digweed mit seinen Reparaturen anfängt. Und sobald Sie hier fertig sind, haben Sie die Güte, sich zur Church Cottage zurückzubegeben, damit Sie nicht wieder etwas übersehen.«
    Er ging zur Tür.
    Und Wield, der nur kurz stehenblieb und murmelte: »Im Dorf ist er eigentlich durchaus beliebt«, folgte ihm hinaus.

Elf
    »Ich nehme an, Sie sehen die Leiche? Was macht sie für einen Eindruck?«
    D raußen traf er Pascoe dabei an, wie er Enscombes frische Frühlingsluft und die verführerischen Düfte aus der Backstube des Wayside Cafés in tiefen Zügen einatmete.
    Hoffnungsvoll regten sich seine Verdauungssäfte, und ihm knurrte der Magen.
    »Warst du nicht ein bisschen streng mit dem alten Terry?«, sagte er beiläufig.
    »Er hätte nichts weiter zu tun brauchen, als zu sagen, oha, tut mir leid, ich hab nicht dran gedacht, auf dem Schrankboden nach Uniformen zu suchen. Statt dessen ist er pampig geworden.«
    Wield grinste. Er kannte eine Menge Leute, die durch leidvolle Erfahrung lernen mussten, dass Pascoes sanfte Art kein Freibrief für schlechtes Benehmen war. In Andy Dalziels Pralinenschachtel überlebte man nicht lange, wenn man einen zu weichen Kern hatte.
    »Macht aber ganz schön Durst, wenn man schlecht drauf ist«, sagte er.
    Pascoe überhörte die Anspielung und blickte unverwandt auf die andere Straßenseite.
    »Hab ich den Hosenlatz offen, oder was?«, fragte er. »Gegenüber ist eine junge Frau, die mich die ganze Zeit anstarrt.«
    Wield drehte sich um. Am Fenster der Eendale-Galerie stand Caddy Scudamore. Als sie merkte, dass er auf sie aufmerksam geworden war, hob sie die Hand und winkte. Oder winkte sie ihn zu sich? Er sah zur Seite.
    »So ’n Mist, die hat’s auf dich abgesehen, Wieldy«, sagte Pascoe und tat enttäuscht. »Freundin von dir?«
    »Das ist Caddy Scudamore«, sagte Wield. »Sie ist Malerin. Besteht Aussicht auf ’ne Tasse Tee und ’n Happen zu essen? Ich sterbe vor Hunger.«
    »Später, versprochen«, sagte Pascoe. »Hat deine Mutter dir denn nie gesagt, dass man eine Dame nicht warten lässt?«
    Und mit einem sehnsüchtigen Blick zurück ließ sich Wield über die Straße und in die Galerie führen, wo Caddy Scudamore bereits mit unverhohlener Ungeduld wartete.
    Drüben angekommen, war Pascoes erster Gedanke: Was für ein Wunder, dass es an einem kleinen Ort wie Enscombe so viele außerordentlich attraktive Frauen gibt. Und sein zweiter: Wie bedauerlich, dass keine von ihnen auch nur das geringste Interesse an mir hat!
    Caddy Scudamore hatte Wield am Ärmel geschnappt und zog ihn durch eine Tür, die zu einer Treppe führte.
    »Haben Sie nur einen Moment Zeit für mich? Bitte!«, sagte sie. »Es geht um die Farbgebung und die Schatten. Auf dem Foto kommen sie einfach nicht richtig raus. Ich brauche nicht mehr als eine Minute, ehrlich.«
    Pascoe registrierte mit Interesse, dass es offenbar auch für einen Schwulen kein bisschen leichter war, einem bildschönen Mädchen zu widerstehen, das einen auf ihr Zimmer schleppte.
    Er folgte unaufgefordert und blieb in der Ateliertür stehen, um dreierlei Überraschung zu verarbeiten.
    Zunächst einmal das Atelier, das viel größer war, als er erwartet hätte, und wunderbar lichtdurchflutet. Zweitens das Chaos. Der Boden war mit verworfenen Skizzen, halbfertigen Gemälden, Gläsern voller Pinsel, Hi-Tech-Ausrüstung, Paletten in allen Regenbogenfarben, Zeitungen, Büchern, Tassen und Tellern übersät … er hatte Zimmer gesehen, in denen Einbrecher alles kurz und klein geschlagen hatten und die trotzdem ordentlicher aussahen!
    Und das Dritte, das inmitten des Chaos seine Aufmerksamkeit erregte, war eine riesige Darstellung der Kreuzigung.
    Caddy hatte Wield trittsicher über den Boden geleitet und neben der Staffelei postiert. Mit einer Hand erforschte sie sein Gesicht, während die andere Linie und Gestalt auf ein Blatt Papier übertrugen. Wield zeigte keinerlei Gefühlsregung, doch der Anblick dieser farbverschmierten Finger, die sich gegen seine festverschlossenen Lippen schoben, versetzten Pascoe in eine voyeuristische Erregung.
    Er zwang sich wegzusehen, balancierte auf Zehenspitzen durchs Zimmer und sah sich die Kreuzigung genauer an.
    Enscombe im Hintergrund wimmelte vor dreidimensionalem Leben, das jeden Zentimeter Leinwand füllte. Mehr noch, vieles davon war übermalt,

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