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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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Händler schimmeligen Reis verkauft hat. Er wollte sich nur beschweren. Vielleicht hast du ihn verwechselt. Hier laufen jede Menge Ghanaer herum und sie sind alle Riesen.«
    »Aber ich habe mit ihm gesprochen«, erwiderte Yoba. »Ich glaube, er hat den Händler erstochen. Mit einem Messer. Ich habe die Leiche gesehen«, fügte er betrübt hinzu.
    Die anderen starrten ihn ungläubig an. Babatunde ging hinüber zu dem Stück Pappkarton, das Kutu als Schlafunterlage diente, und hob es an. »Der Junge hat Recht. Sein Messer ist weg!«
    Nun herrschte große Bestürzung. Niemand sagte etwas. Fliegen summten durch die Luft und über ihnen brannte die Sonne durch das fehlende Dach auf sie herab.
    Dann platzte es aus Sunday heraus. »Dieser Idiot! So kurz vor dem Ziel und er macht sich alles kaputt!«
    »Es ist auch unsere Schuld«, erwiderte Babatunde. »Wir hätten ihn niemals alleine gehen lassen dürfen.«
    Kutu war in den letzten Tagen immer aggressiver geworden. Die ständigen Demütigungen und Misshandlungen auf der Reise hatte er auf Dauer einfach nicht verkraftet.
    »Wer hätte denn ahnen können, dass er den Händler gleich absticht?«, jammerte Maurice.
    »Und was wollt ihr jetzt machen?«, fragte Yoba.
    Babatunde zuckte mit den Schultern. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Unser Boot fährt heute um Mitternacht.«
    »Ich werde versuchen herauszufinden, was genau passiert ist.« Maurice erhob sich. »Von uns dreien sehe ich noch am ehesten wie ein Mensch aus. Vielleicht kriege ich raus, wohin sie ihn gebracht haben.«
    Was sein Äußeres betraf, war der Kameruner ein echtes Phänomen. Obwohl er Tausende Kilometer Wüste hinter sich hatte, sah er noch immer perfekt aus. Seine cremefarbene Hose war nicht einmal zerknittert und sein Michael-Jackson-T-Shirt hatte nicht das kleinste Loch. Wie Maurice das machte, war selbst seinen Freunden ein Rätsel.
    Bevor er die Ruine durch das Loch in der Mauer verließ,drehte er sich noch einmal um. »Und geht ja nicht ohne mich auf das Schiff, verstanden?«
    Babatunde beruhigte seinen Freund. »Wir warten, bis du zurück bist.«
    »Ja, aber beeil dich!«, fügte Sunday hinzu. »Viel Zeit bleibt nicht mehr. Bald geht die Sonne unter!«
    Nachdem Maurice losgezogen war, begann für die Zurückgebliebenen die quälende Warterei. Die Schatten wurden allmählich immer länger. Yoba grübelte. Schließlich fasste er sich ein Herz.
    »Könnt ihr Chioke und mich heute Nacht nicht mitnehmen?«, fragte er.
    Chioke hatte sich neben seinem großen Bruder zusammengerollt und schlief. Yoba versuchte, so gut es ging, die Fliegen von seinem friedlichen Gesicht fernzuhalten.
    »Habt ihr denn Geld?«, fragte Babatunde nach einer Weile.
    »Leider nicht. Das habe ich in der Wüste verloren.«
    Dass er ihr Reisegeld eigenhändig vergraben hatte, behielt Yoba lieber für sich. Ebenso wie die Höhe der ungeheuren Summe.
    »Ohne Geld läuft nichts«, meinte Sunday. »Tut mir leid, Junge.«
    So schnell gab Yoba nicht auf. »Aber es ist dunkel!«, ereiferte er sich. »Wir brauchen uns nur zwischen den Leuten zu verstecken! Keiner würde etwas merken!«
    Chioke schreckte hoch und Yoba nahm ihn in den Arm. »Entschuldige. Ich wollte dir keine Angst machen!«, flüsterte er mit sanfter Stimme. »Schlaf ruhig weiter!«
    Babatunde machte ein trauriges Gesicht. »Ohne Geld aufein Boot? Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie viele hier in Zuwarah genau das vorhaben?«
    »Stimmt«, ergänzte Sunday. »Die libyschen Schleuser sind nicht blöd. Die passen auf wie Hyänen. Jeder Einzelne wird kontrolliert, bevor er an Bord darf.«
    »Aber in Dirkou habe ich es auch geschafft!«, wandte Yoba ein. »Da habe ich mich auf einen Lkw geschmuggelt!«
    »Das hast du wirklich geschafft?« Sunday war beeindruckt.
    Babatunde rieb sich nachdenklich das Kinn. »Trotzdem: Ein Lkw ist kein Boot!«, gab er zu bedenken. »Wenn der Kapitän euch als blinde Passagiere erkennt, schmeißt er dich und Chioke, ohne zu zögern, über Bord. Dann kann euch niemand mehr helfen. Auf dem Meer entscheidet allein der Kapitän über Leben und Tod.«
    Yoba wollte gerade erwidern, dass ihm das egal sei, weil sein Bruder und er ohnehin verhungern würden, wenn sie nicht von hier wegkamen, da platzte Maurice in die Runde. Wie man unschwer an seiner Miene ablesen konnte, brachte er keine guten Nachrichten. Es stimmte, was Yoba ihnen erzählt hatte: Kutu hatte den Kaufmann, der ihm den schlechten Reis untergeschoben hatte, tatsächlich

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