Der Schreiber von Córdoba
Papyrus, die Pflanze,
die die Alten einst statt Papier benutzten.
Die Blütenblätter sind so leicht, dass sie praktisch
in meiner Handfläche schweben.
Aber die Blume ist da.
So wirklich wie ein Versprechen.
Wahrsagen
Das S hebt und senkt sich
ganz gleichmäßig.
Er muss tief schlafen.
Das Buch gehört Amir.
Ich weiß, dass ich unseren brüchigen,
eierschalendünnen Frieden aufs Spiel setze.
Ich fühle mich, als stünde ich
am Guadalquivir,
wissend, dass ich
beim nächsten Herzschlag
hineinspringen könnte.
Aber ich bin wie gebannt.
Beatriz Álvarez.
Das ist ihr Name.
Die Laute dieses Wortes
Bringen mein Blut in Wallung.
Ich muss es wissen:
Soll ich ihr meine Liebe geloben?
Ich weiß, dass ich es möchte.
Aber was wird sie tun?
Mir ins Gesicht lachen?
Amir bewahrt Hafis
unter seinem dünnen Kopfkissen auf, genau wie ein Mädchen
das manchmal mit seiner Puppe macht.
Geschafft!
Ich hab das Buch.
Er rührt sich nicht.
Ich schleiche in eine Ecke.
Drücke die Augen zu.
Eine Seite ungefähr in der Mitte.
Mein Finger schiebt sich hinein.
Dann seine Stimme vom Bett her:
»Lass nächstes Mal
wenigstens dein Federkissen
als Gegengabe zurück!«
Geheimschrift
Ich drehe mich nicht um.
Ich werde versuchen, schnell zu lesen:
Gleich kommt er und nimmt es mir weg.
Aber es sind nur lauter Schnörkel!
Ich brülle Amir an:
»Du aalglatter Kerl!
Du hast mir nie gesagt,
dass es in einer Geheimschrift geschrieben ist!«
Er reibt sich noch den Schlaf aus den Augen –
aber sein Grinsen sieht schon verflixt wach aus.
»Es ist Arabisch. Die Sprache
meines Vaters …«
»Ich weiß , was es ist.
Niemand kann mehr an etwas anderes denken,
seit du in dieses Haus gekommen bist!«
Ich will gerade hinausstürmen, da
kommt mir ein neuer Gedanke.
Ich packe ihn an seinem hohen Kragen.
»Bring’s mir bei!«, rufe ich.
Eine Minute lang denke ich mit klopfendem Herzen,
er könnte mich vielleicht schlagen.
Ich wünsche mir halb und halb, er würde es tun.
Wenn ein Sklave einen freien Mann schlägt,
bedeutet das seinen Tod.
Da steht Papa vor uns.
»Ramón! Was ist los?
Es ist noch stockdunkel!
Warum brüllst du hier herum,
als wolltest du Tote aufwecken?«
Warnung
Die Arabischstunden
laufen nicht sonderlich gut.
Die Buchstaben schlingen sich ineinander, rinnen zusammen
wie Wassertropfen.
Sie entgleiten mir und verschwimmen mir
vor den Augen.
Das sind nicht die Kurven,
die mir jetzt gerade wichtig sind.
Amir gibt nicht auf.
Ich spüre, dass er mich
wieder bedauert.
Auf keinem unserer Ausgänge
haben wir Beatriz gesehen.
Das Ritterturnier der Königin
findet in zwei Tagen statt.
Ganz Córdoba wird hingehen,
das ist gewiss.
»Was werde ich sagen, wenn ich sie sehe?«
(Ich meine Bea, nicht die Königin.)
Er holt Hafis. Hält ihn zuerst mir hin,
als könnte ich ihn nach zwei Wochen Unterricht
schon selber lesen.
Ich weiß nicht, ob ich ihm danken oder losschreien soll.
»Übersetze du«, sage ich so großartig, wie ich kann.
»Schließlich gehört das Buch dir.«
Amir öffnet Hafis
an einer beliebigen Stelle.
Er braucht nicht länger als eine Minute,
um seine Sprache in meine herüberzuzaubern.
Schau nicht auf das Grübchen in ihrem Kinn –
Dort lauert Gefahr!
»Das steht nicht da. Du nimmst mich auf den Arm.«
Amir sagt nichts. Er lächelt nicht, runzelt nicht die Stirn.
Er ist schwerer zu lesen als die Worte auf dieser Seite.
Turnier der Besten
Rüstungen dröhnen,
Schwerter klirren,
stahlhart krachen
Lanzen
gegen Brustpanzer.
Der alte Ramón
lebte für diese Dinge.
Aber jetzt bin ich nicht
wegen des Wettkampfes da.
Ich wage es nicht, meinen Blick von der Menge abzuwenden.
Der Tag neigt sich.
Die Preise (einer ist ein Pferd,
von Kopf bis zum Schweif mit einer Decke
aus golddurchwirkter Seide bedeckt) sind verteilt.
Oh, wie soll ich schlafen können?
Ich war mir so sicher, ich würde sie sehen.
Dann, als wir gerade gehen wollen,
ein leises Lachen hinter mir, wie kühles Wasser
auf Kieseln. Ich drehe mich um –
zu spät. Es ist niemand da.
Amir verdreht die Augen
und deutet auf meinen Ranzen.
Offen, wie immer.
Ein Blättchen Papier,
so fein, wie ich es je nur gesehen habe,
steckt dort, hineingelegt wie ein Samenkorn.
Keine Verschlüsselung.
Dieses Mädchen ist direkt.
Sie nennt den Tag und den Ort.
Sollte denn das nicht
der Mann machen?
Egal.
Jetzt könnte ich mit den Besten
zum Turnier
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