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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Little
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es wagen und die Chance ergreifen.
    Aber wann habe ich je die Wahl?
    Was diesen Aufstieg angeht, den tollen, berühmten Aufstieg
    vom Judentum zum Christentum –
    ich kann mich an keinen Wechsel erinnern.
    Wie kann ich in etwas zurückfallen,
    in dem ich nie zu Hause war?
    Wisst ihr was?
    Ich kann mich nicht erinnern, je einen einzigen Schritt getan zu haben,
    der nicht schon für mich vorgezeichnet war.
      
    Messer
    Ich schaue meine Mutter an,
    schaue sie wirklich an. Es muss
    das erste Mal seit Monaten sein,
    dass ich das tue.
    Ein kalter Schrecken durchfährt mich.
    Kann das die kissenweiche Mama sein,
    die mich einst hochgenommen hat,
    als würde ich nicht mehr wiegen
    als ein Handschuh?
    Jetzt stehen die Knochen unter ihrem Hals
    wie aufgestapelte Messer hervor.
    Ihre Haut sieht zu dünn aus,
    wie Pergament, aus dem man
    tausend Fehler ausgekratzt hat.
      
    Rückgabe
    Señor Doda ist da.
    Er kommt schon zu uns
    seit der Zeit, als ich noch nicht schreiben konnte.
    Jetzt ist er hier, um das letzte Buch zurückzugeben,
    das er bestellt hatte.
    »Es ist aus Papier!«, sagt er zur Erklärung.
    »Meine Frau glaubt, dass nur Juden« –
    hier windet er sich sichtlich – »so etwas benutzen.«
    Er lächelt und dreht seine Handflächen
    dem Himmel zu.
    »Aber Papier ist besser als Pergament, Señor«,
    antworte ich ihm. »In China benutzen sie es
    schon seit Jahrhunderten.«
    Señor Doda lässt sich nicht umstimmen.
    »Und wenn ich es weiterverkaufen möchte?
    Meine Frau denkt nicht als Einzige so.
    Niemand würde es anrühren.
    Tut mir leid, Ramón.
    Ich dürfte mein eigenes Haus
    nicht mehr betreten,
    wenn ich euch dafür bezahlen würde.«
      
    Die Tochter des Spitzels
    Bea ist sauer. Auf mich.
     
    Ich habe etwas an ihr übersehen,
    was mir hätte auffallen sollen.
    (Das kann ich kaum glauben.)
    Ich schmeichle: »Gib mir einen Tipp.«
    Ihr Gesicht ist noch finster, aber sie lenkt ein.
    »Ach, das errätst du nie, du dummer Junge.
    Es ist mein Rock. Siehst du denn nicht? Er ist aus
    feiner persischer Seide. Tausendmal feiner als
    der alte Fetzen, den ich vorher anhatte!
    Ein Blinder würde es sehen.«
    Ich besänftige sie. Ich sage ihr,
    ihre eigene vollkommene Schönheit überstrahle
    alles andere so, dass ich sonst nichts mehr sehe.
    Sie taut auf.
    (Wieder einmal zahlen sich für Ramón
    diese blöden Bücher aus!)
    Ich weiß, dass es unhöflich ist,
    nach Geld zu fragen.
    Aber wir Benvenistes haben so wenig,
    dass ich davon besessen bin.
    »Und … was ist die Quelle
    dieses plötzlich sprudelnden Reichtums?«
    Sie klatscht in ihre kleinen Hände, froh, dass ich sie gefragt habe.
    Ihr Vater wurde zum familiar, »Vertrauten«, ernannt.
    So heißen die Spitzel für die Inquisition.
    Anscheinend kann man Reichtümer erwerben,
    wenn man seine Freunde verrät.
    Ich tue so, als sei ich hoch erfreut.
    Aber in Wahrheit denke ich:
    Befassen sich Leute wie er
    nicht mit der Aufgabe,
    Conversos zu ruinieren? Leute wie Papa und Mama
    und mich?
      
    Grün
    Bea lädt mich zum Mittagessen nach Hause ein.
    Sie sagt: »Nur meine Mutter und meine Schwestern werden da sein.«
    Nur?
    Am Ende habe ich das Gefühl,
    ich sei ausgequetscht worden
    von gleich vier Inquisitoren.
    Aber das Essen!
    Warmes Brot und dicke Oliven. Lange, dünne
    Scheiben Serrano-Schinken, rot-weiß marmoriert.
    Mehr zu essen, als ich in ganzen zwei Wochen hatte.
    Aber der Schinken, der doch so gut rutscht,
    bleibt mir beinahe im Halse stecken.
    Später fragt mich Bea: »Hat dir das Mittagessen nicht geschmeckt?
    Du hast zwar gegessen für drei, aber dein Gesicht
    war so grün wie die Oliven.«
    »Es ist nur –«
    Ich möchte sie nicht beleidigen.
    »Meine Eltern – wir essen selten Schweinefleisch.
    Es ist so teuer, weißt du«, füge ich hastig hinzu.
    Sowie es heraus ist,
    möchte ich es zurücknehmen.
    Bea starrt mich an. Die üppigen Lippen stehen offen.
    Pass auf, sollte ich ihr sagen, dass du keine Mücke verschluckst.
    Ich überspiele meine Panik
    mit einem verlegenen Kuss.
    Zuerst will sie sich entziehen.
    Aber dann
    erwidert sie ihn.
      
    Erbstücke
    Nachdem ich bei Bea gegessen habe,
    sehe ich unsere kleinen Zimmer
    mit neuen Augen.
    Beas Haus ist zwar dreimal so groß
    wie unsere Wohnung,
    aber es ist zehnmal vollgestopfter.
    Es ist angefüllt mit Gegenständen.
    Bilder und Vasen. Teppiche
    und Wappen.
    Alles sieht sehr alt aus.
    Vieles davon trägt das Wappen der Álvarez.
    Eines ist sicher:
    Es kann einem nicht entgehen,
    in wessen

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