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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Little
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familiar!
    Sie schaut mich an, als wäre ich schwer von Begriff.
    »Mein Vater ist es, der ihr gesagt hat:
    ›Zeige dich an.‹«
    Sie tupft sich kurze Zeit die Augen.
    Aber als sie wieder aufschaut, sind sie zu Schlitzen verengt.
    »Weißt du, Ramón,
    vielleicht hatte er recht.
    Wenn es je wieder ein Gnadenedikt gibt –
    Besser sich selbst anzeigen,
    als angezeigt werden.
    Ich bin sicher, du hast auch irgendwas angestellt.
    Nein, sag es mir nicht.
    Sag es ihnen .«
      
    Warten
    Wir warten ab, ob unser Hausherr
    am Leben bleibt oder stirbt.
    Papa hat einmal behauptet,
    warten sei Nahrung für die Seele.
    Denk an eine Schreibfeder, sagte er.
    Wenn man eine neue macht,
    muss man sie in den Sand stecken,
    um sie stark zu machen.
    Nach einer Woche Geduld
    ist der Kiel geschmeidiger.
    Er bricht nicht so leicht.
    Tut mir leid, Papa, aber manchmal führt warten
    nur zur Verzweiflung.
    Außerdem kostet es Geld!
    Es ist nicht fair.
    Warum müssen wir, wenn es nichts zu tun gibt,
    trotzdem immer noch essen?
    Ich gehe Arbeit suchen.
    Die Türen im Viertel
    sind wie Sargdeckel.
    Mit anderen Worten:
    geschlossen.
    Ich bin nicht wählerisch.
    Amir wäscht Kleidung
    für Señora Ducal.
    Ich muss auch etwas finden!
    Ich kann doch nicht zulassen,
    dass wir von den Pfennigen leben, die unser Sklave verdient.
    Schließlich, schon fast am Ende
    einer dunklen, gewundenen Gasse,
    geht eine Tür auf.
    Ein grauhaariger Alter steht dort,
    dürr wie ein Besenstiel.
    Er schaut mich von oben bis unten an
    mit beängstigend schielenden Augen.
    Dann spuckt er aus.
    Die Hände, die Christus getötet haben,
    werden niemals rein sein.
    Er streckt sein Kinn vor, während er es sagt.
    Speichel landet
    in meinem weit aufgerissenen Auge.
    Verschwinde von hier, Jude!
      
    Schwanz
    Es ist, als
    liefe ich
    mit Hörnern herum –
    Teufelshörnern –
    anstelle von
    Ohren.
    Oder mit
    einem Schwanz
    anstatt
    ohne Schwanz.
    Er ist unsichtbar,
    könnte aber
    bei Bedarf
    zack!
    jeden Moment
    hervorschießen.
    Und an Bedarf
    herrscht
    kein Mangel
    in diesen Tagen.
    Ich bin eher wütend,
    als dass ich Angst habe.
    Ich habe kein
    Unrecht getan.
    Aber in dieser Zeit
    und an diesem Ort
    ist meine innere
    Rüstung dünner
    als Papier.
      
    Flecken
    Ich muss etwas unternehmen.
    Wenn wir einem halb blinden alten Mann
    wie Juden erscheinen,
    wie lange wird uns dann das Offizium
    in Ruhe lassen? Es heißt,
    sie kümmern sich nur um Christen.
    Aber sie sagen auch, die Christen
    würden leichter zu Fehltritten neigen,
    wenn ihr Blut unrein ist.
    Wir prahlen nicht
    mit unseren jüdischen Vorfahren.
    Wir begraben unseren Stolz
    in der Tiefe unseres Herzens.
    Wir müssen etwas an uns haben.
    Ein Zeichen oder einen Flecken,
    der uns auffällig macht.
    Sie werden suchen kommen.
    Alles, was sie sehen, wird bis ins Kleinste beurteilt werden.
    Selbst wenn das Buch, das Papa versteckt,
    nicht mehr als eine heimliche Abschrift
    der Pflanzen von Kastilien ist, finden sie
    bestimmt irgendetwas anderes.
    In Sevilla wurde ein Mann verbrannt, weil er sagte,
    Gott und Allah seien dasselbe.
    Und ich habe Papa noch viel
    schockierendere Dinge sagen hören! Mama auch.
    Und was ist mit mir? Ich studiere
    die Glaubensedikte nicht so gründlich, wie ich sollte,
    daher weiß ich nicht, was ich alles nicht darf.
    Man könnte mich für alles Mögliche verhaften –
    vielleicht, weil ich mir mit dem falschen Finger
    in der Nase gebohrt habe!
      
    Führung
    Ich habe eine Idee.
    Einen Weg, alles auf einmal zu retten:
    Papa, unser Zuhause
    und sogar Amir.
    Aber sie macht mir Angst.
    Ich erinnere mich an einen Punkt
    aus dem Glaubensedikt.
    Kein Christ darf zu einem jüdischen Arzt gehen.
    Selbst ein Heiltrank, der von einem Juden verkauft wird,
    könnte ebenso gut Gift sein – eine so sichere Eintrittskarte
    ist er zu einem sehr guten Platz beim Autodafé.
    Wenn nun Señor Ortiz
    verhaftet würde?
    Ich bekomme Angst vor mir selbst.
    Jedem Menschen auf Erden
    sind zwei Engel zugeordnet.
    Ein guter,
    der ihn beschützt.
    Und ein weniger guter,
    der ihn von Zeit zu Zeit
    einer Prüfung unterzieht.
    Welcher meiner Engel
    singt mir gerade
    ins Ohr?
      
    Im Alcázar
    Ich soll in zwei Wochen wiederkommen?
    Sie müssen verrückt sein!
    Ich habe nicht nur den ganzen Tag
    in dieser Schlange vertan.
    Sondern es hat mich all meinen Mut gekostet,
    meine Faust zu heben
    und an ihre Tür zu klopfen.
      
    Bei näherem Hinsehen
    Hier kommt der besenstieldürre Mann.
    Am besten verschwindest du in der

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