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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Little
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Haus man ist.
    Unsere Wohnung ist geschmackvoll
    und, dank Mama, immer sauber.
    Aber besitzen wir auch etwas,
    das zeigt, wer wir sind?
      
    Gedicht
    Amir glaubt anscheinend, ich hätte den Verstand verloren.
    »Wo warst du? Bist du denn blind?
    Jetzt ist nicht die Zeit für Rosen und Mondschein!«
    Ist er eifersüchtig? Bea ist hübsch. Hat er je ein Mädchen geküsst?
    Ich kann euch nicht sagen, warum, aber ich möchte, dass er sie mag.
    Seine Verachtung ist wie eine Fliege in meinem Becher voll Wein.
    »Komm schon« – damit kann ich ihn angeln –,
    »hilf mir, ein Gedicht für sie zu schreiben.«
    Er kneift die Augen zusammen. »Wie du willst«, sagt er leise.
    »Bring mir deine Tafel.«
    Er schreibt Folgendes:
    Deine Lippen sind so rot
    wie das Blut an den Händen
    deines Vaters.
    »Das wird ihre Leidenschaft anfachen,
    Ramón, glaubst du nicht?«
      
    Gnadenedikt
    Wir sind eingeladen,
    erklärt Pater Perez,
    uns innerhalb eines Monats selbst anzuzeigen.
    Während dieser dreißig Tage fallen die Strafen
    mehrere Stufen milder aus.
    Jetzt ist die Zeit,
    dem Offizium alles zu offenbaren.
    Die Schlange, die am nächsten Morgen
    am Alcázar ansteht,
    windet sich durch drei Straßen.
    Papa erzählt uns vom letzten
    Gnadenedikt dieser Art.
    Die Leute bekannten sich zu Dingen,
    an die sie bis dahin nicht einmal im Traum gedacht
    und die sie schon gar nicht getan hatten.
    Was ist der Haken daran?
    Also, zum einen
    verbrennen sie dich zwar nicht auf der Stelle,
    aber sie schreiben alles, was du sagst,
    in ihre Akten. Dort steht es,
    wenn du je noch einmal einen Fehltritt begehst.
    Wiederholungstäter
    kommen nicht mehr gut weg.
    Zum anderen musst du eine Strafe bezahlen.
    Die Truhen der Kirche sind prall gefüllt
    aufgrund der fantastischen Märchen,
    die sich die Leute für das Gnadenedikt ausdenken,
    nur damit sie
    – wie sie glauben –
    zukünftig sicher sind.
    Und noch eines: Sie lassen dich nicht gehen,
    ehe du noch andere verraten hast.
    »Du hast doch sicher«, so sagen sie dann,
    »diese Dinge nicht als Einziger gemacht,
    oder? Schweige nicht.
    Wir wissen, du lebst in der Welt
    und hast Augen.
    Was kannst du uns sonst noch sagen, ehe du nach Hause gehst?«
      
    Tinte
    Zurück vom Freitagsgebet
    mit Amir. Wir haben getrödelt.
    Papa wird schimpfen,
    ganz bestimmt.
    Ich irre mich.
    Seine Gedanken sind woanders.
    »Papa«, frage ich,
    »geht’s dir nicht gut?«
    Er sagt, ich solle mir keine Sorgen machen –
    er hätte nur ausgeruht. Der Schlaf, so sagt er,
    halte ihn noch immer an einer Hand fest.
    Diese hübsche Formulierung
    lenkt meinen Blick auf seine Hände.
    Wir haben die letzte Arbeit,
    die wir hatten, beendet.
    Und doch hat Papa
    frische Tintenflecken an den Fingern.
      
    Garrucha
    Manuel und Lope wissen über alle Foltermethoden
    Bescheid.
    Gefangene müssen, wenn sie
    entlassen werden, heilige Eide schwören,
    nicht zu sagen, was sie gesehen haben.
    Aber Lopes Onkel ist beim Offizium
    beschäftigt. Er hat Spaß daran,
    Damen beim Abendessen
    mit gruseligen Geschichten zu erschrecken.
    Lopes Lieblingsmethode heißt garrucha .
    Der Angeklagte hängt
    an den Handgelenken an einer Seilrolle.
    Schwere Gewichte werden
    an seinen Füßen befestigt.
    Langsam wird er in die Höhe gezogen.
    Dann lassen sie ihn mit einem
    Ruck wieder fallen.
    Seine Schultergelenke
    kugeln sich aus.
    Manchmal
    auch die Beine.
    Lope versichert uns,
    das sei sehr schmerzhaft.
    Er tut nichts lieber,
    als das nachzuspielen.
    Er hängt sich an Bäume
    und stößt markerschütternde Schreie aus.
    Lope ist ein seltsamer Junge.
    Er und sein Onkel
    sind ganz bestimmt
    aus dem gleichen Holz geschnitzt.
      
    Sicher
    Das in Papas Wand
    muss ein Buch sein.
    Eines, von dem er müde Hände bekommt,
    die mit Tinte befleckt sind.
    Schreibt er womöglich
    doch irgendetwas?
    Enthält es Dinge,
    für die er verbrannt werden könnte?
    Warum schleiche ich mich nicht hinein
    und schaue nach,
    anstatt zu grübeln, bis ich
    Knoten im Hirn habe?
    Darum. Was wäre, wenn ich es wüsste
    und verhaftet würde?
    Ich bin schwach.
    Wie würde ich
    die garrucha aushalten?
    Meinen Papa durch meine Feigheit
    auszuliefern,
    das könnte ich nicht ertragen.
    Daher werden meine Arme und meine Knie
    jedes Mal steif vor Schrecken
    wenn ich an seine Tür schleiche.
    Papa, dein Geheimnis ist sicher,
    jedenfalls vor mir.
    Ich kann nicht hineingehen.
      
    Bedingung
    Ich habe mich in letzter Zeit schon gefragt,
    warum die schweren Schritte über uns
    verstummt

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