Der Schreiber von Córdoba
sind.
Wir wussten, dass Señor Ortiz
noch im Haus ist.
Sein prächtiges Pferd ist da,
wenn ich an den Ställen
in der Trinidad-Straße vorbeikomme.
Sein Diener schlurft noch immer
im Schlafzimmer seines Herrn herum.
Ich weiß es, denn es ist direkt über meinem.
Aber seit einiger Zeit fühlt sich das Haus an,
als warte es auf etwas.
Und jetzt kommt der Brief.
Señor Ortiz hat die gefürchteten Pocken!
Vielleicht stirbt er.
Er tanzt bereits
auf dem aschgrauen Handteller des Todes.
Jetzt braucht der Schnitter nur noch zu wählen.
Soll er seine starken, knochigen Finger schließen
und zudrücken oder nicht?
Wir sind erstaunt:
Wenn der Señor stirbt, heißt es in dem Brief,
wird das Haus uns gehören.
Und die Werkstatt auch.
Aber es gibt eine Bedingung.
Wir müssen unserer Königin und unserem König
unsere Loyalität beweisen.
Wir müssen, so steht in dem Brief, den Mauren hinauswerfen.
Wenn wir auch weiterhin ein Zuhause haben wollen,
darf Amir keines mehr haben.
Zu lang!
Papa geht nach oben,
um vernünftig
mit ihm zu reden.
Mama sagt, damit man das könne, brauche es Vernunft,
und die habe Señor Ortiz leider nicht.
Papa lässt sich nicht davon abbringen.
»Ich bin genauso unvernünftig
wie er«, sagt Papa.
Ist das etwas Gutes?
Und ist es vernünftig,
stundenlang in einem Zimmer
bei einem Mann zu bleiben, der Pocken hat?
Gerade hat wieder
eine Glocke geläutet.
Die Zeit verrinnt.
Kommt denn mein Papa, der stur wie ein Ochse ist,
nie mehr herunter?
Die Antwort des Señor
ist Nein.
Papa sagt,
wir müssten darüber nachdenken,
wo wir hingehen könnten.
Er erwähnt Granada.
Amirs Augen leuchten auf.
Auch ich spüre einen Stich.
Habe ich nicht davon geträumt,
die Welt zu sehen?
Aber das hier ist unser Zuhause.
Und Reisen erfordern Kraft.
Hat Mama die?
Und Papa?
Señor Ortiz ändert sein Testament.
Dieses ganze Haus – das Haus, möchte ich ergänzen,
das einmal uns gehört hat – wird an die Kirche fallen!
Ihr wisst, was das bedeutet.
An die Inquisitoren.
Wenn er stirbt, sagt Papa,
dann kommen sie her und verlangen ihr Recht,
noch ehe der Leichnam von Señor Ortiz
unter der Erde ist.
Sie haben in letzter Zeit so viele Neuchristen
verhaftet. Selbst ich, der ich die Zahlen liebe,
würde sie nicht gerne zählen.
Der Alcázar der Königin
kann sie nicht alle aufnehmen.
Manche Leute warten Jahre,
bis ihr Prozess beginnt.
Warten braucht Platz!
Einmal, als ich nicht tun durfte,
was ich wollte,
sagte ich, mein Zimmer
sei eine Gefängniszelle.
Hatte ich unbewusst einen Blick
auf die dunkle Bestimmung unseres Hauses erhascht?
Frage
Mama und Papa reden die halbe Nacht.
Auch Amir ist wach.
Ich habe eine neue Frage,
die ich Amir stellen möchte.
Wie fühlt es sich an,
seinen gutherzigen Herrn
aus seinem Heim zu vertreiben?
Vordertür
Die meisten Leute,
die Señor Ortiz besuchen,
wissen, dass sie die Hintertür nehmen müssen.
Die Vordertür ist unsere.
(Zu Lebzeiten meines Großvaters
war es die für die Diener.)
Dieser Arzt wohnt nicht in unserem Viertel
und weiß es nicht.
Oder vielleicht will er nicht unbedingt
gesehen werden.
Er trägt keinen komischen Hut
wie die Ärzte in alten Büchern.
Aber sein Bart ist so lang
wie seine Arme.
Beinahe darunter versteckt,
knapp rechts von seinem Herzen
ein gelbes Stück Stoff.
Er ist Jude.
Wenn die herausfinden, dass er hier war,
werden die Pocken
unsere kleinste Sorge sein.
Reue
Ich treffe mich noch immer mit Bea.
Meine Welt geht vielleicht unter,
aber das bringt mich nur dazu,
noch mehr an sie zu denken.
Ich denke sogar daran, ihr Komplimente zu machen.
Ich halte nach Seide Ausschau, nach Goldfaden –
nach jeder Kleinigkeit, die mir entgehen könnte.
Aber der Rock ist wieder der alte!
Der Fetzen , wie sie gesagt hatte.
Mädchen sind verwirrend.
»Schau meine Kleidung nicht an!«
Sie bemerkt meinen Blick. »Ich schäme mich!«
Es bedarf vieler Küsse und Schmeicheleien
(nicht, dass ich etwas dagegen hätte),
ehe sie zu einer Erklärung bereit ist.
»Mama hat aufgrund des Gnadenedikts gestanden.
Sie hat ihnen gesagt, sie hätte einmal einem
wandernden Juden Fleisch abgekauft.
Sie haben ihr dreihundert Maravedis Strafe auferlegt,
und Papa will sie nicht bezahlen. Er sagt,
wir müssten dafür unsere neuen Kleider verkaufen!
O Ramón – ich wollte, ich wäre tot.«
Aber konnte er nichts dagegen machen? Er ist doch ein
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