Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Little
Vom Netzwerk:
seine Tasse
    zu dicht neben ein Buch gestellt.
    »Dummkopf«, schrie er.
    »Stelle nie Wasser dorthin, wo es verschüttet werden
    und die Tinte verwischen könnte!«
    Hinterher tat es ihm leid.
    »Ich weiß, dass du Bücher
    nicht so lieben kannst wie ich.«
    Der Señor hat nicht gewusst,
    dass sein Sklave lesen konnte.
    Sklaven verbessern ihren Herrn nicht.
    Er hat nie herausgefunden,
    wie unrecht er hatte.
      
    Berge
    Nach mehr als zwei Wochen Fußmarsch
    beginnt die richtige Anstrengung.
    Die Berge sind nicht mehr fern.
    Vorher hatten wir nur den Wunsch, sie zu erreichen.
    Jetzt sind wir mittendrin
    und kämpfen mit ihren Tücken.
    Es ist ein Wettbewerb zwischen den Wagen und den Männern –
    wer ächzt am meisten beim Erklimmen der steilen Hänge?
    Sol lacht uns aus.
    »Stell dir mal vor«, sagt er, »wie es dir
    vor sechs Monaten ergangen wäre! Ich war hier, daher weiß ich es.
    Die Straßen, auf denen wir gehen? Gab es nicht.
    Seither haben sechstausend Männer
    den Weg gebahnt für deine
    kostbaren Füße!«
    Also, selbst mit Brücken und Straßen
    ist es noch harte Arbeit. Die Kurven sind scharf wie Ellbogen.
    Man rutscht leicht aus. Die Regenfälle im Frühling waren stark,
    und es gab Überschwemmungen.
    Meine Kleider sind derart mit Schmutz verkrustet,
    dass sie mindestens doppelt so viel wiegen
    wie damals, als ich sie (mich schaudert)
    von der Leiche des Christen nahm.
    Und doch fühle ich mich zum ersten Mal
    seit drei Wochen wach.
    Vielleicht weckt mich die Arbeit auf.
    Oder vielleicht ist es auch, weil diese Berge
    von meinem abba erfüllt sind – meinem Vater.
    Meinem ersten.
      
    Berge (2)
    Er ließ uns oft allein, um hinaufzuklettern, blieb lange weg,
    und dann, eines glücklichen Tages, kam er wieder.
    Sein Karren war bei seiner Rückkehr randvoll mit Schnee,
    so dicht hineingepackt, wie ein Fell über eine Trommel gespannt wird.
    Er traf bei der Rückkehr immer auf eine Menge.
    Die besten Männer von Granada erwarteten ihn.
    Die Hofleute – sogar der Emir selbst –
    kauften jedes Mal alles bis zur letzten Schneeflocke.
    Manche hatten extravagante Frauen, die darin badeten
    und schworen, sie würden davon so jung wie ihre Töchter.
    Manche streuten Rosinen darauf und aßen den Schnee wie Zuckerwerk.
    Die meisten gebrauchten ihn, um ihre Nahrungsmittel länger frisch zu halten.
    Aber ganz gleich, welche Granden die Stimme erhoben,
    mein abba wartete ab. Er weigerte sich, das kleinste bisschen Schnee
    wegzugeben, bis er sah, dass ich gekommen war.
    Während die Leute für seine Ware Schlange standen,
    zauberte er einen wunderbaren Kegel aus Schnee – nur für mich.
    Rein und unverfälscht mochte ich ihn am liebsten.
    Nichts sollte den klaren, frischen Geschmack beflecken,
    der genau dem Geruch der Bergluft entsprach,
    die manchmal an meinem Bett vorbeistreifte.
    In Córdoba habe ich nur einmal solche Luft erlebt.
    Ich war draußen im Hof und habe die Sterne betrachtet.
    Die Luft veränderte sich, nur für einen Moment,
    und der Geruch der Berge wehte zu uns her.
    Es war, als wären mein erster Vater und ich nicht weggegangen.
      
    Warum nicht?
    In diesen langen Tagen des Wartens
    auf den Abstieg meines abba
    lernten meine Mutter und ich
    Seite an Seite lesen.
    Ich hatte so viele Male auf diese Kringel gestarrt
    und mich gefragt, wie Männer Geschichten in ihnen sehen konnten.
    In Granada gehört Schrift einfach zum Leben.
    Sie findet sich nicht nur in Büchern. Sie schmückt die Wände
    in unseren Wohnungen und unseren Moscheen.
    Mit ihr sprechen wir zu unserem Gott.
    Mutter wusch für einen armen Gelehrten.
    Als Gegenleistung gab er uns einmal in der Woche Unterricht.
    Es waren nur einzelne Fäden.
    Aber wir nutzten sie dazu,
    einen ganzen Teppich zu weben. Wenn man ein Wort lernt,
    führt das immer zu einem anderen.
    Als daher Rahel – meine Mama in Córdoba –
    sagte: »Frauen lesen nicht«, fragte ich sie:
    »Warum nicht?« Und sie wusste keine Antwort.
    Papa und Ramón sagten jedoch dasselbe.
    »Frauen lesen nicht.« (Oder wiederholte Mama nur ihre Worte?)
    Die Köpfe von Frauen tun sich mit Büchern schwer,
    sagten sie. Ich wusste es besser.
    Wenn also in der Mittagszeit Papa müde war,
    zu müde für Arbeit oder unser gemeinsames Vorhaben,
    habe ich stattdessen mit Mama gelernt.
    Wir saßen im Hof mit irgendeinem Buch,
    das gerade zur Hand war. Sogar mit den Pflanzen von Kastilien .
    Ich konnte etwas Spanisch, aber nicht genug.
    Sie half mir, Bedeutungen zu verstehen.
    Aber

Weitere Kostenlose Bücher