Der Schreiber von Córdoba
manchmal lauschten wir auch einfach
auf die Musik der Worte.
In diesem Hof waren wir von der Welt abgeschieden.
Aber auch irgendwie mehr in ihr denn je.
Und sammelten Fäden.
Geister
Eines Tages stieg mein abba auf den Berg hinauf
und kam nicht mehr herunter.
Dreimal fiel Schnee, und dreimal schmolz der Schnee.
Sein Karren war immer noch nicht zu sehen.
Nach dem vierten Schneefall tauchte ein neuer Mann auf.
Er hatte einen neuen Karren.
Und von meinem Vater keine Kunde.
So sagte er.
Die Stadt vergaß meinen abba.
Als wäre er nie gewesen.
Die Leute begannen uns zu ignorieren –
meine Mutter und mich.
Wir waren verflucht und vielleicht ansteckend.
Wir wurden zu wandelnden Geistern
ohne Freunde.
Ideale Beute für die Piraten auf Sklavensuche,
die von der Küste her kamen und nach Schwachen suchten.
Und Geister ernteten.
Ich nicht
Das war das Letzte,
was ich von meiner Mutter sah.
Zwei Männer
zerrten sie in eine Richtung.
Zwei weitere
zerrten mich in die andere.
Die Gesichter in den Fenstern verschwanden hastig.
Leute, die sich über enge
Gassen hinweg unterhielten,
verstummten sofort und zogen sich zurück.
Alle weg, so schnell wie ein Wimpernschlag,
als hätten wir sie geträumt.
Und wir waren allein in der Welt.
Jetzt, da ich älter bin,
verstehe ich das besser.
Diese Gesichter versteckten sich.
All diese Leute sprachen dasselbe Gebet.
Es existiert in allen Sprachen, ganz gleich, an welche Version
von Gott man glaubt.
Es klingt ungefähr so:
Bitte, Gott – ich nicht.
Málaga
Kurz bevor wir
(ich weiß nicht recht, welches Wort
ich gebrauchen kann)
ergriffen wurden,
machten meine Mutter und ich einen Plan.
Sie war in Málaga geboren.
Sie hatte zwei Brüder – vielleicht waren sie noch dort?
Sie fürchtete, diese Brüder könnten ihr nicht glauben,
dass mein abba verschwunden war.
Männer lösen sich doch nicht einfach in Luft auf!
Sie dächten vielleicht, sie sei weggelaufen.
Hätte ihren Ehemann verlassen.
Bringe ihnen Schande.
Oder sie würden ihr glauben.
»Sollen wir es riskieren?«
Ich sagte Ja.
»Schließlich«, meinte ich,
»haben wir nichts zu verlieren.«
Sagt das nie.
Solange man frei ist,
hat man etwas zu verlieren.
Sklavenmarkt in Córdoba
Als Señor Barico mich mit nach Hause nahm
und dann die schweren Ketten von meinen Beinen löste,
konnte ich kaum glauben, was er getan hatte.
Ich ging damals die ganze Nacht in meinem Zimmer auf und ab.
Ich blieb auf, bis ich umfiel.
Ich fürchtete, wenn ich meine Beine auch nur eine Minute ruhen ließe,
würde jemand hereinkommen und sie wieder in Ketten legen.
Das Meer
Der Wind hat sich gedreht
und bringt den salzigen Tanggeruch vom Meer mit.
Ramón hat oft
von diesem Moment gesprochen.
Wie es wäre,
das Meer zum ersten Mal zu erleben.
Es zu riechen oder zu hören
oder einfach nur seinen feuchten Atem
auf der Haut zu spüren.
Und dann, wenn es
in Sicht käme –!
Ramón redete, und ich
blickte zu Boden.
Ich sagte ihm nicht,
das Meer rufe auch mich.
Aber ich habe kein Hochgefühl,
jetzt, wo ich ihm näher komme.
Mein Herz ist voll böser Vorahnungen.
Von allen Orten, an die ich gewandert bin, all den Menschen,
bei denen ich war, ist Krieg das Letzte, wo ich hinwill.
Wenn wir das Meer erreichen,
tauche ich vielleicht hinein.
Obwohl ich
noch nicht einmal weiß,
ob ich schwimmen kann.
Heimkehr
Einst hatte ich Träume
von einer triumphalen Heimkehr.
Ich würde vor den Toren Granadas, meines Königreichs, stehen,
nicht länger ein Sklave. Durch meine Heldentaten
wäre ich ein großer muslimischer Prinz geworden!
Alles – Scharen meiner Untertanen,
Tore aus Stein und Stahl –
würde bereitwillig den Weg freigeben, sobald ich käme.
»Amir ist ein Emir!«, würden die Leute rufen.
Stattdessen bin ich jetzt hier.
Gekleidet wie ein Feind.
Kein Krummsäbel, noch nicht einmal
ein gerades christliches Schwert
in der Hand.
Ein Fremder,
eine Null,
in meinem eigenen Land.
Neue Stadt
Vor den hohen Mauern von Málaga
ist eine ganze Stadt voller Christen
aus dem Boden gewachsen.
Tausende Zelte in allen Farben,
Pferde mit Purpur und Gold geschmückt.
Heimlichkeit ist offensichtlich nicht Trumpf in diesem Lager.
Ein Teppich aus Tulpen wäre weniger auffallend.
Fahnen flattern im Wind.
Soldaten aus allen Ecken und Enden Europas
polieren ihre Rüstung mit Speichel und singen dabei.
Eines der Zelte ist so groß wie
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