Der Schreiber von Córdoba
weltlichen Güter!
Ich öffne die Seiten.
Und lese Folgendes:
Die Lilie und die Rose wachsen immer wieder
im Frühling, aber wozu?
Nichts ist von Dauer.
Einschließlich Ramóns Messer – meiner einzigen Waffe –
und der paar Münzen, die ich gespart habe, wie es aussieht.
Du bist eine prima Hilfe, mein einziger Freund!
Leere Seiten
Am sechsten Tag jeder Woche machen wir halt.
Juden dürfen am Sabbat nicht arbeiten.
Und ganz gewiss dürfen sie nicht
ganze Wagenladungen Waffen transportieren!
»Was ist, wenn die Banditen an eurem Sabbat wiederkommen?«, frage ich sie.
»Dürft ihr euch verteidigen, wenn ihr angegriffen werdet?«
Das löst eine Diskussion aus, die die ganze Nacht dauert.
Ich gebe es bald auf, ihren Argumenten zu folgen.
Ich grabe die Feder aus meiner neuen Ledertasche aus.
Beide sind Geschenke der Juden, die mein Verlust mit Mitleid erfüllte.
Ich öffne Hafis.
Hinten im Buch sind leer gelassene Seiten.
So Allah will, werde ich vielleicht schreiben.
Hahn
Allah, in deiner Welt geht so viel Merkwürdiges vor sich.
Könnte ich dich zu einem Besuch und einem Gespräch bewegen,
wäre es ein sehr langes.
Aber ich müsste irgendwo anfangen.
Was mich derzeit beschäftigt, ist Folgendes:
Warum sind die Nächte so schrecklich lang?
Die Männer sagen, es ist töricht, im Dunkeln weiterzuziehen.
Wir sind eine zu leichte Beute für die Banditen, die sich
in den nahen Bergen verstecken.
Also kampieren wir und schlafen. Oder versuchen es.
Obwohl die Tage jetzt zu Beginn des Sommers länger werden,
scheinen sich auch die Nächte lange hinzudehnen.
Die Männer langweilen sich und werden unruhig.
Sie trinken und raufen.
Auch ich kämpfe,
aber mit Worten.
Die Männer nennen mich wegen meiner kratzenden Feder »Hahn«.
Nichts, was ich versuche, gelingt.
Den wenigen leeren Seiten des Buches ergeht es jetzt schlecht.
Das Pergament ist hauchdünn geworden
vom vielen Wegrubbeln und Verändern.
In all diesen Wagenladungen voll Zeug ist kein einziger Bimsstein!
Ich habe zum Radieren nur die Steine,
die ich auf der Erde finde.
Sie eignen sich nicht für die Dutzende von schlechten Reimen
und Fehlern, die ich mache.
Hafis, du hast in all deinen Klagen eines
zu sagen vergessen:
Dichtung ist schwer!
Freund (2)
Sol – der mit der Knopfnase –
will sich anscheinend mit mir anfreunden.
Er zeigt mir eine Skizze von seiner Frau – sie ist recht gut.
Er prahlt mit seinen Söhnen. Hat er Söhne?
Er wirkt nicht so viel älter als ich.
Sol stellt keine Fragen, aber es ist sonnenklar.
Er hofft, dass ich platze.
Wie ein Granatapfel, der seine Kerne zurückhält.
Man braucht nur mit einem Löffel
auf die Schale zu klopfen.
Mich rührt seine Freundlichkeit.
Aber ich öffne mich nicht.
Ich glaube, ich habe das Talent zur Freundschaft verloren.
Und vielleicht auch die Lust darauf.
Freund (3)
Einmal spielten wir
ausgiebig Fangen
wie Jungen, die halb so alt sind wie wir.
Ramón und ich liefen um die Wette und rannten
durch unser Viertel.
In Sackgassen hinein und durch enge Gässchen.
Über jede Brücke, die wir sahen.
Wir kamen an Orte, die wir nur vom Hörensagen kannten –
oder noch nicht einmal das.
Die Straßen von Córdoba winden und schlängeln sich
wie Knoten im Haar der Medusa.
Es hat Spaß gemacht.
Ramón hat gewonnen.
(Halb ließ ich ihn gewinnen, weil ich weiß, wie stolz er ist.
Nichts ist zu gering,
um ihn zu verletzen.)
»Das, mein Freund,
war ein wunderbares Spiel«,
sagte Ramón.
Mein Freund.
Kann ein solches Wort stimmen,
wenn der eine frei ist
und der andere nicht?
Ketten
Manche von diesen Juden
können sehr gut lesen.
Ein paar wenige sogar ein bisschen
Arabisch. Unter den Kalifen
sprachen die Juden diese Sprache
fast ebenso gut wie die Muslime.
Hier und dort wurden Wörter weitergegeben.
Einer dieser Männer bittet mich, ihm Hafis auszuleihen.
Ich schäme mich, weil es mir so verhasst ist, ihn mit jemand zu teilen.
Um mir zu helfen, denke ich daran,
wie bereitwillig Papa seine Bücher verliehen hat.
Der erste Mann, der mich gekauft hat, Señor Barico,
war sehr anständig. Er hat mich weder ausgepeitscht
noch meine Beine in Ketten gelegt. Wie manche andere es tun.
Aber er hat seine Bücher angekettet.
Er muss Hunderte besessen haben.
Ich habe nie eines angerührt.
Er schlief mit seinen Lieblingsbüchern,
als seien sie Kopfkissen.
Señor Barico hat mich nur einmal geschlagen.
Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher