Der Schreiber von Córdoba
mir,
waren schlimmer – viel schlimmer –
als diejenigen, die ich erlebt habe.
Damals wütete die Pest, der Schwarze Tod.
Ein Drittel aller Bewohner Europas starb
an dieser Krankheit.
Es wurde mit Fingern gezeigt.
Die Juden, so hieß es,
hätten die Brunnen vergiftet.
Nicht alle wurden getötet. Viele Juden beschlossen,
sich taufen zu lassen, um sich zu retten.
Andere wurden von der Menge festgehalten
und einfach getauft, ganz egal,
was sie wollten.
Also wurden Mamas Vorfahren Christen.
Selbst ihr Familienname wurde geändert.
Und Papas? Mein Papa spricht nur
von Gutem – oder soll ich sagen, Großem?
Dass mein Ururgroßvater
ein ganz großer Schreiber war.
Dass er Hebräisch und Arabisch sprach und schrieb,
nicht einfach nur fließend, sondern mit Schliff.
Als sein Leben endete, hatte er
einem Kalifen und einem König gedient.
Es endete zu früh.
Mama hat es mir gesagt.
Statt der Taufe wählte mein Ururgroßvater
den Tod.
Er nahm sich das Leben,
zusammen mit seiner Frau.
Welcher dieser großen Vorfahren
hat also die bessere Wahl getroffen?
Der Hausherr
Señor Ortiz
ist für eine Weile zu Hause.
Ich weiß es wegen des Stampfens,
das durch die Decke dringt, den ganzen Tag
und die ganze Nacht.
Er verhält sich, sagt Mama,
als hätte er Schuld auf sich geladen.
Als behielte er seine Stiefel an,
für den Fall, dass er weglaufen muss.
Wovor?, frage ich sie.
Aber Papa sagt: »Rahel, sei still.
Wie finden wir es,
wenn Leute dummes Zeug
über uns reden?«
Der Gast
Einmal in der Woche – wenn er hier ist –
geruht Señor Ortiz, zum Essen zu uns
herunterzukommen. Die Mahlzeit ist bescheiden,
aber das stört ihn nicht.
Er isst seinen Teller jedes Mal leer.
Ich hungere nach Geschichten von Abenteuern und Schiffen
und exotischen Ländern. Señor Ortiz
segelt an der Küste des Reiches entlang,
und verkauft kostbare Seidenstoffe aus dem Orient.
Aber unserem Hausherrn missfallen
meine unermüdlichen Fragen.
Er gehört zu den Leuten, die denken,
Kinderstimmen
seien Gott lästig.
Sooft er kommt, müssen wir Schweinefleisch essen.
Ich hasse es.
Aber es ist das Gericht der Wahl,
wenn wir Gäste haben.
Schweinefleisch essen ist ein Zeichen.
Es bedeutet, dass du deinen jüdischen Glauben
hinter dir gelassen hast.
Daher müssen gute Christen zeigen,
dass sie nicht genug davon bekommen können –
ob sie Schweinefleisch mögen oder nicht.
Glaubensedikt
Heute nach der heiligen Messe
wurden wir aufgefordert,
noch einmal unseren Glauben zu beschwören.
Zum dritten Mal in diesem Jahr.
Ein riesiges Kruzifix wurde
von zwei Priestern hoch in die Luft gestemmt.
Wir bekreuzigten uns, hoben unsere
rechte Hand. Schworen, das Heilige Offizium
zu unterstützen und hochzuhalten – und ebenso seine Vertreter auf Erden,
die Inquisitoren.
Wie, so fragt ihr vielleicht, soll ein gewöhnlicher Junge wie ich
das Offizium »hochhalten«?
Ganz einfach. Alles ist schon beschrieben
im Glaubensedikt.
Sie lesen es uns vor,
sooft sich die Gelegenheit bietet.
Es ist ellenlang.
Es handelt von Verfehlungen, die dich
das Leben kosten können.
Und doch schlafen sogar Männer dabei ein!
Ich kann das Edikt zusammenfassen
in einem Wort: beobachten.
Nachbar, beobachte deinen Nachbarn.
Freund, bespitzele deinen Freund.
Wenn einer von uns in die Irre geht,
leiden wir alle.
Was also tun?
Es der Mutter Kirche sagen.
Dein armer Kopf braucht sich nicht
um Beweise zu sorgen.
Wir werden dir glauben.
Ketzerei ist eine Pest,
und sie breitet sich in den Seelen der Menschen aus
wie ein Feuer im Stroh.
Übersieh nicht die kleinen Dinge.
Zieht sich dein Bruder gegen Ende der Woche
frische Wäsche an? Das ist ein Zeichen.
Er achtet den Sabbat am Samstag:
den heiligen Tag der Juden.
Will deine Schwester kein Schweinefleisch essen?
Das ist ein Zeichen. Sie befolgt die alten
jüdischen Speisegesetze.
Kreuzt dein Vetter die Finger hinter seinem Rücken,
während er Gott preist? Spuckt er während der heiligen Messe
auf den Boden? Scheint er zu lächeln, wenn die Heilige Jungfrau
– in Gestalt einer Statue – vorbeikommt?
Zeichen, Zeichen, Zeichen.
Die Seelen dieser Menschen rufen nach Hilfe.
Du musst sie retten.
Lieber hier auf Erden verbrennen,
als ewig dem Höllenfeuer anheimzufallen.
Auftrag
Schweins füße diesmal.
Ich dachte, das Abendessen
geht nie vorbei!
Endlich sind die Teller leer,
der Tisch wird abgeräumt.
Papa holt das eine
Weitere Kostenlose Bücher