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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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sein!
    Susanna blickte beinahe hochmütig, mit einem kleinen Gesicht, das sich auf etwas Entferntes richtete. Sie sah, der Kapitän gab dieses Beispiel: Betrug und Aufklärung, Verwirrung und Heilung, und sie verstand ihn, wenn er auch nicht ausdrücklich davon sprach: es war ein Abglanz da, die Waldfee-Gloriole, in diesem Beispiel, wir sind daheim, wir machen uns eine Heimat!
    Sie sagte nichts. Sie sagte nur danke zu dem Kapitän und lächelte ihm zu. Sie verschönte sich zu Frömmigkeit bei diesem Lächeln, sie sah glückselig aus. Aber sie dachte: das ist die Höflichkeit, zu der ich mich noch anstrenge für ihn. Eine verlorene Tochter, und ich weiß, daß mir nichts mehr helfen kann, – wo sollte ich Heilung finden, Frieden, nein, – aber ich will meinem Wohltäter wenigstens Dankbarkeit erweisen.
    Als sie vor der Tür war, wich das Lächeln von ihrem Gesicht.
    Der Kapitän blieb zurück. Er war zufrieden mit sich selbst, weil er alles Mögliche getan hatte an diesem Tag: er hatte ja alle auf den rechten Weg gebracht. Er stopfte sich die Pfeife, aß bescheiden und betrank sich nun ein wenig. Aber inzwischen ging es draußen vor seiner Tür weiter, – durchaus nicht auf dem rechten Weg, sondern durch Öland, mühselig und geschunden.
    Der rechte Weg, so paradiesisch angelegt, war nichts für Susanna und Kolja, mit ihnen ging es weiter auf einem anderen Schicksalsweg, unbehütet, unzufrieden, untröstlich, – hier gab es nur die eigene unbescheidene Gier, alles selber zu sein, und die unerbittliche Forderung, dafür zu bezahlen. Sie nahmen es sich heraus, diesen Weg zu gehen, weil sie zu Ende kommen wollten, einfach zu Ende. Sie nahmen sich alles heraus, nur nicht Hoffnung, daß ihnen die Schulden erlassen würden. Für sie war dieses Paradies „Hilfe“ und „Ordnung“ und „Friedensstiftung“ und sogar „Schicksal“, hinter dem ein Engel steht, nur künstlich aufgesteckt, und sie waren hochmütig genug, sich nicht hineinzutäuschen. Sie erblickten das ihnen zugedachte Paradies lieber in abgeräumtem Zustand, – die schöne Lustbarkeit lieber vertan, – abgenutzt wie einen Kurort nach dem Saison-Ende. Da bleiben die Häuser stehen, die Mauern, und auch die Grünanlagen, – aber die Alleen und Blumenbeete sind kahl. Die Springbrunnen zugedeckt, die Engel verhüllt, die Denkmäler mit Brettern verschlagen, – Dämmerung fällt ein, und es sieht aus wie Abend: Feierabend und Herdrauch über den Dächern, ist aber alles schon längst vorbei, Rußfäden verschmutzen die Fassade, der Putz blättert ab, der Wind treibt Staub und Schutt durch die Straßen. Eine andere eisige Jahreszeit ist heraufgekommen, fremde Sternbilder, niemals gesehene, schwimmen über dem Nebel, glitzern oben am schwarzen Himmel, und hier unten ist der leere Ort übriggeblieben, fahl beleuchtet, als Stelldichein für Geister.
    Sie hatten es nicht darauf angelegt, einander zu treffen, und sie wollten auch nicht so unbescheiden sein, zu glauben, ihr Schicksal habe ihnen hier die Linien gezogen. Wo diese Linien anfingen, war ihnen nicht bekannt, und wenn es eine solche Stelle überhaupt deutlich gab, so lag sie gewiß ganz außerhalb, von ihr erschien nichts an diesem Ort. Es nahm nichts teil, tat nichts mit, mehr ließ sich da nicht sagen. Aber sie kamen nun doch zusammen.
    Kolja machte noch Arbeitsdienst, er lud auf dem Dorfplatz Fichtenbäumchen ab von einem Leiterwagen, fünf Mann standen in einer Kette hinter ihm, so war der Arbeitsgang eingerichtet. Kolja reichte dem ersten der Fünf die Bäumchen zu, und der reichte sie weiter, der letzte stapelte sie auf, und die nächsten Fünf gruben sie ein. Susanna mußte an ihm vorüber. Wie von einer Zange hergedreht, trat er da auf sie zu, und sie wandte sich ebenso in der Zange zu ihm. Hier zwischen den nickenden Wipfeln und den Soldaten, denen das Harz von den Blusen duftete, konnten sie kaum sprechen, ohne sich zu verraten, es ging nur, weil die Soldaten sangen. Der Gesang war Schwermut, die Dämmerung war Schwermut, und die fremden Sternbilder leuchteten voll unendlicher Schwermut, weil sie ja doch keine wahren Sternbilder waren, sondern Punkte unbekannten Zufalls. Als Kolja sich Susanna zuwandte, sahen auch die anderen von der Arbeit auf. Im Singen lächelten sie Susanna zu, und da lächelte auch sie, und auch Kolja lächelte, wie sie nun so einander gegenüberstanden, nicht mehr wie einst unterm Nußbaum im Gras, Sonne auf der Haut, und mit hellen Augen, sondern jetzt sahen sie es

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