Der Schritt hinueber - Roman
Flüchtlinge dagewesen. Hätten Sie es denn zugegeben?
Sie überlegte eine Weile. Dann sagte sie: Ich weiß es nicht. Der Kapitän sah sie an. Sie überlegte noch immer. Nein, sagte sie, eher würde ich sagen, nein, ich hätte es nicht zugegeben. Aber das ist …
Es ist zu verstehen, sagte der Kapitän, und er sollte Ihnen ja auch glauben!
Susanna dachte: er selber glaubt mir kein Wort. Aber für ihn kommt es darauf nicht an, er hat es leicht in seiner Waldfee-Gloriole. Er kann es sich aussuchen, ob er mir glaubt oder nicht. Er hat es doch so gesagt – ein Entschluß, aber wer kann das, außer ihm?
Sie sah auf Kolja, und dann dachte sie an Axel.
Draußen im Vorzimmer verrann die Zeit. Spasso sah auf die Uhr und ging weg in sein Quartier, die Posten lösten einander ab. Drinnen der Kapitän strengte sich an zu seinem Versuch, Ordnung zu machen. Er war nun doch mehr als ein Mann, der bloß seine Fassung behält. Er urteilte wie ein Vater und hatte sich nun auch seine Waldfeeheimat hergepflanzt, auch hinter verschlossenen Türen war er zuhause, er dachte: das spielt keine Rolle, ob die Frau die Wahrheit sagt, man kann der Wahrheit nicht so nachlaufen wie dieser Kolja, die Wahrheit ist niemals da, man kann sie nicht entdecken, man muß sie sich selber machen!
Der Kapitän hatte sich nie im besonderen mit Rechtsfindung beschäftigt, er hatte immer nur aus seiner Machtwolke geurteilt. Nun tat er etwas, das Rechtsfindung war. Er sagte sich: ich soll diese Sache in Ordnung bringen, wie soll ich es machen. Ich höre und höre, ich werde nie ganz erfahren können, ob das auch die Wahrheit ist, was ich höre. Ich bin nicht dabeigewesen, und selbst dann wüßte ich nicht die Wahrheit. Ich wüßte vielleicht: Kolja hat zwei Leute gesehen, ich müßte fragen: waren es Einheimische, die sich gefürchtet haben vor ihm? Ich müßte fragen: ist die Frau gern hinausgegangen zu ihm und hat es selbst nur nicht gewußt, und heute weiß sie es schon gar nicht mehr. Und was dann draußen war, – das alles kann ich nicht feststellen, und ich kann die Sache auch nicht wiederholen lassen, das ganze Fest nochmals von vorne, mir fließt das auch nicht als Wahrheit ins Ohr, es fließt mir nichts ins Ohr als ein Vielleicht, und so muß ich mich entschließen zu etwas, das ist dann die Wahrheit! Ich muß das jetzt sagen können: es waren keine Flüchtlinge, auch wenn ich ihre Spuren noch zu finden glaube; ich muß sagen können: die Frau, auch wenn sie mir etwas verheimlicht, sie hat sich nicht anders zu helfen gewußt; für sie war es einfach so, sie war am Ende froh, den Leutnant loszuwerden, und ist hinaus und hat ihm aufs Pferd geholfen. Und wenn er Betrug sagt, und sie nimmt sich darum an, machen sie sich nur beide kaputt! Ich muß sie davon abbringen!
Der Kapitän stand am Fenster, als er so dachte und urteilte, hinter ihm tönten die Lieder herein, und es kam ihm alles ganz richtig vor für seine Waldfeesituation und für seine Absichten, die Ordnung wiederherzustellen. Er sah die beiden vor sich, Susanna, den jungen Kolja, beides Leute, die ein wenig durcheinander waren von Lüge und Suchen, man mußte ihnen zureden und sie zur Besinnung rufen, und hier auf der Kommandantur war der passende Ort, kein seelenloser Ort, sondern von Harz umduftet und Liedern eingehüllt! Der Kapitän sagte: Kommen Sie einmal her, Kolja! Er legte ihm die Hand auf die Schulter und nun sagte er es: Mein Bruder, wir sind gar nicht allein. Wir sind gar nicht in einem fremden Land, das ist eine falsche Vorstellung, und wir geben uns hier Mühe, sie zu berichtigen. Wir haben von unserer alten Waldfeeheimat etwas eingepflanzt, damit wir nicht allein sind …
Natürlich genügte es nicht, einem ungezähmten und stummen jungen Mann wie Kolja das väterlich zu sagen, man mußte ihn auch zurechtweisen und es ihm scharf sagen. Daher der Kapitän: Also, warum führen Sie sich so auf jeden Tag, besaufen sich und machen die Gegend unsicher? Nein, ich will nichts mehr hören, ich weiß. Aber jetzt ist Schluß! – Der Kapitän wußte wohl genau, was er tat. Er ließ Kolja gar nicht mehr zu Worte kommen, sondern schnitt ihm mit einem Befehl alles ab. Sie machen jetzt drunten mit den Leuten Arbeitsdienst. Da haben Sie Gelegenheit, nachzudenken. Am Abend melden Sie sich ab. Und in Zukunft lassen Sie sich im Dorf nicht mehr blicken!
Kolja nahm Haltung an, machte Kehrt und ging. Der Kapitän wandte sich an Susanna. So, und nun zu Ihnen! Bitte, fürchten Sie sich nicht!
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