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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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deutlich eines am anderen, ich Kolja, ich Kosanna, ich verdreckt, versoffen, ich verhurt und schuldig geworden, was ist uns nur geschehen?
    In dem Augenblick, in dem sie einander sahen, verflüchtigte sich ihr Äußeres wie eine Blendung; ganz deutlich trugen sie in der Brust löcherige ausgeblasene Stellen; dort, wo ihnen früher ein Wesen eingegossen gewesen war, bildete sich eine glänzende Kugel aus feurigem Gas. Doch drang von dieser Kugel weder Licht noch Schatten in den Körper. Der blieb grau. Für Susanna war es wieder das Bild aus Staub, zu dem sie sprach, während ihr die Fichtenwipfel wie das wirre Skelett eines verdorrten Waldes erschienen, – das kannte sie also schon, – nur der fremde Gesang ringsum zog Fäden zu einer entfernt untergehenden Sonne – aber wo war sie noch Sonne, wo ging sie unter, es kam nichts mehr herüber davon an diesen Ort, und dann hätte sie ja auch hier einmal scheinen müssen. Susanna konnte sich daran nicht erinnern, sie sagte zu dem Staubbild: Ich muß Sie treffen, Kolja! – und so wechselten sie rasch ein paar Worte, und obwohl es lautlose Worte waren, kleine Aschenquirle, die wie Rauch zergingen, so beeilten sie sich damit, weil es doch auch unerlaubte Worte waren hier in dem Ordnungs-Paradies des Kapitäns.
    Kolja sagte: Sie haben gehört, Kosanna, ich darf mich nicht mehr blicken lassen im Dorf. Er hat es verboten!
    Sie sagte: Dann also draußen! ich muß sowieso hinüber, ich habe einen Passierschein bekommen von ihm, und gehe morgen in die Stadt!
    Kolja blickte auf das hölzerne Tor und sagte: Wo draußen, hier vor der Pforte?
    Nein, doch nicht gleich hier, Kolja, aber hören Sie, bitte, wenn ich hinübergehe, muß ich zur Straße hinauf, dort muß ich hinüber, da müßte ich beim Bemelman vorbei, aber da will ich nicht hin, ich will vorher abbiegen, wo Sie immer aus dem Wald gekommen sind!
    Und wann gehen Sie?
    Wenn mir nichts dazwischenkommt, morgen. Und wenn ich zu Mittag gehe, das ist früh genug. Es ist jetzt auch nicht mehr heiß, und drüben an der Straße bekomme ich vielleicht ein Lastauto!
    Kolja war enttäuscht, er verstand nicht, daß Kosanna an alles Mögliche dachte und sogar in Rechnung zog, daß ihr etwas dazwischenkommen könne. Er blickte traurig aus seinen Milchaugen und fragte: Und jetzt können Sie nicht? Ich müßte mich ja nur noch abmelden bei ihm!
    Sie sagte: Nein, was bilden Sie sich ein, jetzt kann ich nicht! Es klang böse, sie ärgerte sich über ihn. Sie war ungeduldig, dieses Gespräch zu beenden. Hier vor den Leuten, wenngleich die bloß lächelten und schwermütig sangen und ihre Bäumchen wie grüne Flügel trugen – wie sollte sie länger bei Kolja stehen? Und konnte nicht auch der Kapitän jeden Augenblick in seiner Wolke herfahren, dann würde er sehen, wie man es hier weiter trieb in seinem Waldfee-Paradies, es nur benutzte zu verstohlener Verabredung und also mißbrauchte! Es ging ja nicht anders, aber wenigstens sollte er nicht zusehen dabei.
    Gequält blickte sie auf Kolja. Dann wandte sie sich ab. Er starrte ihr hilflos nach. Erst als die Leute mit den Bäumchen ihn anstießen, kehrte er in die Reihe zurück.
    Ach, es ist die alte Sache, dachte Susanna, als sie zwischen den Fichtenbäumchen fortging, schon wieder muß ich etwas heimlich tun, davon komme ich nicht los, das wird mich bis ins Grab verfolgen, Heimlichkeit, Täuschung, Lüge.
    Hätte man mich in Ruhe gelassen, dachte sie, es hätte keine Geschichten gegeben. Daß man sich umarmt, ist doch keine Geschichte! Nur aus den Einbildungen danach – jeder macht sich Einbildungen, ob etwas zutrifft oder nicht – und wenn ein Mann so anfängt: er will die Wahrheit wissen, – oder wie jetzt der Kapitän: er will Ordnung machen, dann entstehen die Geschichten. Aber ein richtiges Bild kann sich doch niemand machen, nicht einmal er!
    Einen Augenblick lang erschien ihr alles ganz einfach. Man mußte nur aufhören mit diesem sonderbaren übertriebenen Anspruch, ein ordentliches Bild zu bekommen, dann hörten auch die Geschichten auf, mit denen man nicht fertig wurde. Sie überlegte, ob sie nicht zu Axel gehen und ihm das sagen sollte, er sollte das doch wenigstens wissen, das sollte er noch hören, ehe sie morgen wegging! Aber dann tat sie es nicht. Sie stand unter dem hölzernen Tor, und alles, was sie erlebt hatte, kam ihr vor wie Vermutung. Sie ging durch das Lufttor hinaus und spürte nur die leere Stelle in der Brust. Drinnen noch, im Garten des Kapitäns, war es eine

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