Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
Vom Netzwerk:
diesem Abend allein, und wieder schlief sie vor Müdigkeit auf dem Stuhl ein, da sah sie ein Traumbild. Aber nicht Staubbilder, wie am Tag zuvor, sie war an einem Ort außerhalb jeder Geschichte. An ihm war von den Dingen, die geschahen, nicht mehr diese Beleuchtung wichtig, was an ihnen Wahrheit war. Die Figuren setzten sich zusammen zu einem Muster, – und sie dachte sofort: das ist ein Muster, wie es wahrscheinlich vor Gott erscheint, wenn er sich alles vorstellt und auf die Welt sieht. Es war ein beiläufiges Muster, aus farbigen Stücken, und es blieb rein in der Fläche, ein Muster ohne Tiefe und Schmerz. Und auch die Farben waren nicht wirkliche Farben, sie dienten nur zur Benennung, damit man überhaupt etwas unterscheiden konnte, sonst wäre alles grau gewesen, einförmiges Mehl- und Nebelgrau. Nun waren es doch hellere und dunklere Stücke von solchem Grau, und es waren die Ränder zu erkennen, mit denen sie zusammenstießen, sie trafen beiläufig aufeinander.
    Ja, das sind wir, sagte Susanna, wenn wir das hier auch nicht wissen. Wir stoßen ganz zufällig zusammen mit unseren Rändern und bilden diese Linien aus; wir glauben immer, sie müßten eine Figur ergeben, und wenn wir nur die Wahrheit wüßten, dann wüßten wir auch die Figur, die wir machen!
    Aber wir können nichts erkennen. Und dann empören wir uns. Daß wir uns geliebt haben, sagen wir, daß ein Mensch sich uns übergeben hat in Liebe, das kann doch nicht ohne Zeichen gewesen sein. Und wenn Gott uns schon zusieht dabei, und wenn ihm selbst das Blut, mit dem wir uns farbig hinschmieren, nichts bedeutet, es müßte ihm doch wenigstens eine gewisse alberne Linie fehlen, die wir mit großer Anstrengung zu einer Figur entwickelt haben. Er müßte uns für einen Augenblick erlauben, auch selber diese Figur zu sehen. Für Augenblicke kommt es uns ja auch so vor, aber dann wieder packt uns die Angst, daß wir uns getäuscht haben, und wir fragen uns: was war wirklich? war es wirklich Liebe? Und wir strengen uns zu Tode an für diese Einbildung: wir haben geliebt, geliebt, es gibt doch keine größere Figur als diese Figur Liebe, und wir waren doch dahin gelangt! Und uns ist es nicht gleichgültig, ob wir die Gewißheit mitnehmen können, daß es Liebe gewesen ist hier. Sonst nehmen wir ja nichts mit. Darin unterscheiden wir uns von Gott. Das ist unsere Ehre, daß wir wissen müssen, ob wir das bekommen haben, das Wirkliche, zusammen, durch Anrühren der Augen, durch Anrühren der Seele.
    Dann träumte Susanna von Axel, sie kam zu ihm, und nun endlich konnte er alles an ihr ausforschen. Sie stellte sich auf einen günstigen Platz, damit möglichst viel Licht auf sie fiel. Sie sagte zu ihm:
    Es gibt einen Ort, an dem du alles erkennen wirst.
    Da scheidet sich Tag von Nacht,
    Himmel von Erde, Land von Wasser, und
    von diesem Körper, dem die Lasur aufgebrannt ist –
    Fleisch;
    von der Figur, geronnen und erstarrt –
    die Gasblase,
    die sanft glühende Kugel aus Gas.
    Das Fleisch wird zu Metall,
    die Haut zu einer Blechfolie,
    gefeit vor Verwesung, perfekt fürs ewige Leben,
    unzweifelhaft die Wahrheit.
    Der Traum ging weiter, Susanna zeigte ihm, wie alles dort aussah.

Sechstes Kapitel
Die Schraube
    Am anderen Morgen dachte Axel sofort an dieselbe Sache, als sei ihm die Nacht nicht im Schlaf vergangen, sondern eben jetzt sei Kolja fortgeritten von ihm.
    Der Müller hatte die ganze Nacht gemahlen, er sagte: Einmal am Abend hat der Hund gebellt. Axel sagte: Ja, es war Besuch da, und die Asta ist in Ordnung, sie hat gleich gemeldet! – Besuch? fragte der Müller, er fragte nicht weiter, er dachte, das ist also wieder die Frau gewesen!
    Axel trat ins Freie. Dort lag die Asta an der Kette, er machte sie los und fing an, mit ihr zu üben: Platz! und: Paß! und: bei Fuß! – dabei dachte er noch immer an seine Begegnung mit Kolja.
    Er pfiff die Asta zurück, er dachte: das habe ich nun wieder versäumt, das war doch die beste Gelegenheit, Kolja auf Besuch, er war da, ich hätte es nur ein wenig geschickt anstellen müssen, dann hätte ich ihm alles aus der Nase ziehen können!
    Er merkte nun doch den Unterschied zwischen dem gestrigen Abend und dem neuen Herbstvormittag mit milder Luft, mildblauem Himmel, das Wasser rauschte, der Hopfen rankte sich grau, wie bestaubt, am Waldfuß in der Schlucht; die Brombeere faulte, die Hecke glühte. Er dachte, daran hat es gelegen, der Abend ist keine gute Zeit für mich, ich habe schon halb geschlafen, da sind mir

Weitere Kostenlose Bücher