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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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bezog die Frage auf sich selbst. Sie hatte es satt, auf der Tischkante zu sitzen. Heimgehen wollte sie auch nicht; allein heimzugehen konnte niemand von ihr verlangen. Auf dem Sternensofa Susannas waren Kissen und Decken. Ich geh schlafen, dachte sie, dann werde ich ja sehen, was er macht. Sie zog sich aus, es war nur ein Geräusch, wie wenn Vorhänge rascheln. Dann legte sie sich hin. Sie blickte gegen das Fenster. Im Zimmer war Nacht, und draußen sah sie auch nur Nacht, sie sah nicht das Paradies, sie sagte:
    Ihr Mann, was der macht? Da kannst du dich beruhigen. Vielleicht macht er ihr ein Kind? Wenn einer so heimgekommen ist, da klappt es doch immer. Die sind nicht alle wie du.
    Bei einer Frau zu liegen und an eine andere zu denken – der Kapitän dachte: was ist das für eine Sache? Einen Augenblick kann man sich täuschen und glauben, daß es mit der einen wirklich ist, aber dann ist nur die andere wirklich, ich sehe es, wenn ich die Augen schließe.
    Sagst du noch immer, daß ich gar nicht da bin?
    Der Kapitän sagte: Nicht sprechen!
    Es war genau so, wie er es ihr schon einbekannt hatte, sie war nicht da. Aber auch die andere war nicht mehr da. Er dachte: ich sage, niemand ist allein – aber jetzt bin ich es doch. Jetzt bin ich allein.
    In dieser Nacht war keiner dort, wo er war. Der Kapitän war nicht bei der Lehrerin, sondern bei Susanna, und war nicht einmal bei ihr, sondern war allein. Susanna war nicht bei ihrem Mann, neben dem sie lag, und war auch nicht allein, sie war in der Gesellschaft, zu der sie sich begeben sollte; und Spasso saß zwar allein in der Stube beim Bemelman, aber er war nicht allein, sondern der Kapitän war bei ihm.
    Auch Spasso dachte: niemand ist allein. Er hatte die gelbe Flamme über dem Docht bei sich, aber er bildete sich ein, hier ist nicht bloß das gelbe Licht, hier ist als ein unsichtbares Licht auch der Kapitän. Für ihn, weil er nicht weiß, was er tun muß, habe ich diese Wache bezogen. Was er nicht sein kann, muß jetzt ich sein. Und da der Kapitän sich sicherlich nie fürchtet, brauche ich mich auch nicht zu fürchten. Nur wenn ich Furcht habe, bin ich allein, weil ich ihn dann im Stich lasse. Ich darf mich nicht fürchten.
    Spasso hatte keinen Zweifel an der Sache. Aber seine Hände hörten zu zittern nicht auf. Die Furcht saß in den Händen, in den müden Augen, in den von der Nacht steifen Gelenken.
    Kann ich es denn damit sein? dachte er.
    Er schraubte den Docht der Lampe ein wenig höher, er unterhielt sich mit der gelben heißen Flamme. Er fragte: Kann ich es sein, hier mit deinem Licht, was ich sein soll?
    Wahrscheinlich nicht, antwortete sie, aber du fragst mich? ich habe mich nicht selbst angezündet. Du hast mich angezündet am Abend, damit man dich sieht. Wenn du dich nun fürchtest, gesehen zu werden, kannst du mich ja auslöschen. Lösch mich aus, und leg dich hin und schlaf. Niemand kann dir einen Vorwurf machen!
    Es war eine Versuchung, Spasso gab ihr nicht nach. Er wünschte sich zwar, die Lampe solle auslöschen wie vorhin – das Petroleum konnte ausgehen, der Zylinder zerspringen, irgendwas kaputt sein, er selber wollte es nicht machen. Er sagte: Ich müßte mich schämen!
    Spasso sah in die Flamme. Und da wußte er nun endlich, daß er allein war.
    Kolja ging nicht auf das Licht zu. Es hatte ihn die ganze Nacht hindurch angezogen, er hatte es umkreist, sich aber nicht in die Nähe gewagt. Er war auf der Hut, er mußte sich verstecken, und nur mit seinen beiden Augen sah er das kleine Licht. Aber dann hatte es auch zu ihm gesprochen durch die Nachtluftwirbel hin, und zitternd von Dünsten: ich brenne als Licht hier, wo du immer eines gesucht hast. – Es hatte ihn angelockt, und für ihn gab es ja nichts als die eigene Verborgenheit und das gestorbene Licht des Lebens. Kosanna war dieses Leben gewesen, – hatte sie ihn wirklich betrogen?
    Er sah das weiße Kleid, das fortlief, und den Mann, der sich als Jäger bekannt hatte. Er sah, wie der Mann zurückwich: da krampfte sich ihm die Hand am Pistolenschaft zusammen, – oder sie krampfte sich ihm als leere Faust zusammen, – und in der Weile, die dieser Krampf dauerte, schoß er das Magazin leer.
    Es geschah ihm immer wieder wie ein Anfall von Fieber, der in Abständen durch das Blut jagt. Er sah in den Himmel, auf dem Kosanna als Stern hing, oder horchte in das Laub, aus dem sie unablässig zu ihm redete: ich wollte es dir ja erklären; oder er sah in das Dickicht der jungen Fichten, es

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