Der Schritt hinueber - Roman
erinnerte ihn an das Paradies des Kapitäns. Da war ihm Kosanna auch nicht fern – in das Dickicht war sie geflohen, und das Dickicht war also ihr Schoß, der ihn erwartete, grün, sanft, zart.
Er sagte sich, ich darf nicht daran denken, – aber es kam auf ihn zu; er sagte sich, was habe ich getan, – aber es war gar nicht etwas, das er getan hatte, sondern er tat es immer wieder; das weiße Kleid, der Mann und der Krampf in der Hand, und es dauerte ebenso lange, als man brauchte, um ein Magazin leerzuschießen. Nur dieser Krampf war wirklich: Schweiß auf der Stirn und die leere zusammengekrampfte Faust und hernach Erschöpfung.
Da hatte es Kolja also getan und nicht getan, er hatte es jetzt getan und daher auch das erstemal getan; er hatte es jetzt nicht getan und daher auch das erstemal nicht getan. Es war immer nur der Krampf in der Faust, – wenn es vorbei war, hatte er eine Zeitlang Ruhe. Dann fing er wieder an, mit Kosanna zu sprechen. Er redete mit ihr und hörte, nein, er sprach auch ihre Antworten. Es war eine lebhafte Unterhaltung, deren Faden ihm nicht ausging, das einzige, das ihn erfüllte, so daß er an Verstecken und auf der Hut sein gar nicht mehr dachte. Jetzt, da er selbst verloren war und auch sie verloren hatte, lenkte ihn nichts mehr ab von ihr. Er gehörte herrlich und ganz ihr allein, und für Augenblicke war er selig, – bis dann der Krampf wieder kam. So verging ihm die Zeit, es war Nacht, er sah das Licht vom Hof und dachte: das ist sie, das Licht, zu dem ich zurückgehe! Aber dann dachte er:
Oder bilde ich mir nur ein, daß da ein Licht ist?
Erst gegen Morgen, als es grau wurde, wagte er sich hinauf. Er kam von hinten an den Hof heran, band am Tor das Pferd fest und ging an der Mauer entlang und um die Ecke nach vorne.
Spasso, der in der Stube saß, hörte die Geräusche. Er dachte, jetzt kommt er. Er sah den Schatten des Mannes, der dicht vor den Fenstern ging, es waren drei Fenster nebeneinander, in jedes Viereck tauchte der Schatten ein. Spasso dachte: vielleicht geht er nur vorüber. Aber im dritten Fenster blieb Kolja stehen. Spasso erinnerte sich an seinen Kindertraum, und es war für ihn noch einmal eine Versuchung. Konnte er nicht in diesen Traum zurückgehen? Wenn ich mich schlafend stelle, und er merkt nicht, daß ich mich nur verstelle, – er ist doch einer von uns, wie meine Eltern waren, – sondern glaubt, daß ich wirklich schlafe, vielleicht geht es dann vorüber? Aber er konnte es nicht tun, er erfuhr es plötzlich selber: Erinnerung, Traum, – sie halfen ihm nicht mehr, er war ihnen entwachsen, er war kein Kind mehr. Er zitterte. Davor hatte er sich gefürchtet, daß er zittern würde. Er nahm sich zusammen. Er stand auf und sagte mit gepreßter Stimme:
Was machen Sie denn da, Kolja?
Er sah Koljas Gesicht, die hellen Brauen, die Milchaugen, – es kehrte sich ihm langsam zu mit einem törichten Ausdruck völliger Überraschung.
Ja, sagte Kolja. Ja? fragte er.
Er konnte es nicht verstehen: kein weißes Kleid, das fortlief, kein Mann, der ein Jäger war, aber statt des weißen Kleides ein Licht, und statt eines Jägers, der ihm auflauerte, hier Spasso lauernd in der aufgesperrten Falle, – das war dieselbe Figur wie drunten zwischen dem Wasser und dem Wollgras, eine Falle und Auflauerung, und Kolja fühlte, daß sie ihm den Krampf in der Faust erzeugte. War es denn möglich? Und wenn es wirklich so war, wenn hier wirklich wieder ein Jäger saß, vielleicht konnte Kosanna nichts dafür. War sie nicht ein Geist und grünte im Paradies? und wurde nur mißbraucht in den Gestalten, in denen sie auftauchte? Als weißes Kleid und wehendes Wollgras stieg sie aus dem Erdreich am Waldrand; als Licht, als Flämmchen zeigte sie sich hier, wo sie einmal gewohnt hatte. Aber das wußten die anderen, und die benützten sie, um ihn herbeizulocken, weil sie auch wußten, daß er ihr immer nachgehen und sie aufsuchen würde, wo sie sich so zeigte an den Orten des früheren Lebens, – es ist sehr töricht von mir, das zu tun, dachte Kolja, denn die Toten
sehen wir sie? – nein,
hören wir sie? – nein,
sprechen wir zu ihnen? – nein,
sie zu uns? – nein,
sitzen wir beieinander? – nein,
schlafen sie mit uns? – nein,
essen sie unser Brot? – wahrscheinlich nicht,
nehmen sie an uns teil? – wahrscheinlich nicht.
Sie essen nicht, sie kennen uns nicht, sagte Kosanna. Und Kolja antwortete ihr: Aber gewiß tun sie das alles unsichtbar, und auch du tust es
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