Der Schritt hinueber - Roman
Koljas blasses Gesicht mit geschlossenen Augen, Licht und Schatten glitten über seine Stirn. Spinnwebfäden hoben sich ohne Luftzug aus dem Walde und hängten sich an seine Mütze, manchmal, wenn er über eine Blöße kam, war es nur Licht, schräg hergestochen von der Vormittagssonne, er spürte die Wärme, spürte unterm Laubdach wieder die Kühle, die Gegensätze wechselten auf seiner Haut.
Die Spinnwebfäden kamen wie von auseinandergerissenen Netzen geflogen; das war nun nicht mehr nur August und Sommerluft, nein, die Luft war voll solcher Fäden, die sich Kolja an die Mütze hängten und ihm wie eine Täuschung vor dem Gesicht schwebten, und es bekleideten, silberig, grau, – abgerissene Fäden bloß, aber an seinem weißen Gesicht und an seiner ausgebleichten Bluse hafteten sie nun und bekleideten ihn ganz und bedeckten seinen Körper. Hie und da flog gewichtlos eine Flaumfeder aus den Vogelwohnungen auf ihn nieder und blieb an ihm hängen, und ein feuchtes vergilbtes Blatt klebte sich ihm an die Schulter. Er rührte sich so wenig, daß er nichts abschüttelte, sondern sich willig bekleiden ließ von diesem Gespinst aus Fäden, Flaum, Tau, Licht und Schatten, und sein Gesicht schlief darunter ein. Auch seine Hände mit Schmutz und klebriger Haut schliefen ein, nur das Pferd setzte behutsam seine Schritte, und wenn es stehenblieb, dauerte es immer eine Weile, bis Koljas Zunge schnalzte, zwei- dreimal schnalzte er und dachte dabei: Vorwärts! dann ging es wieder.
Sie kamen über eine breite Schneise. Dort fraß das Pferd von einem Schüppel Heu, das von einem Bauernwagen gefallen war. Wie ein Haarschopf hing es an den Fichtenzweigen. Da hörten sie ein Motorrad fahren. Ein Rauschen, weit entfernt hinter dem Laub, es verstummte, aber in der Luft blieb es dann noch, die Luft wehte nun nicht mehr bloß die emsigen Spinnfäden heran, sondern etwas Fremdes. Die Tauben gurrten unsichtbar in den Wipfeln, die Rehe knackten im Gehölz, auch das Fremde war unsichtbar. Keine Bewegung, kein Zeichen, nur die Spinnfäden flogen in der schräg herstechenden Sonne, – und doch war es da.
Das Pferd trat von der Schneise weg in das Dickicht, wieder behutsam, als ob es nach eigenem Verstand ginge, und leise schnaubend, und die Spinnfäden um Koljas Haupt wurden im Schatten zu einem grauen Schleier, und in der Sonne dann wurden sie zu etwas wie einem Strahlenhaupt, als ob sich Fäden und Tau und Licht in eine Distel verwandelten, und in ihr knisterte das Fremde. Die Fäden fingen die Geräusche auf und legten sich mit ihnen zusammen auf Koljas Gesicht. Da berührten ihn also die Geräusche der Leute, die sich unsichtbar durch den Wald heranarbeiteten, an der Haut; die zwei Schüsse, die entfernt fielen, berührten ihn wie zwei Tropfen, die seine Stirn trafen, er wischte sie nicht ab, sie rannen ihm übers Gesicht, er schmeckte sie auf den Lippen. Er schnalzte mit der Zunge und dachte: Vorwärts, aber das Pferd war gestört worden, es blieb stehen. Kolja sah die Spinnfäden, die heranflogen, er versuchte, die Dinge zu sehen, die dahinter waren, aber er konnte sie nicht lange im Auge behalten. Es war, als strickten ihm die Spinnfäden ein Netz vors Auge, der Blick glitt ab, er dachte: ich kann doch noch scharf sehen, aber wenn ich scharf sehe, muß ich schießen; wenn ich schieße, sehe ich scharf, – ohne das geht es nicht, entweder schlafe ich ein in meinem Gespinst oder ich schieße, anders kann ich da draußen nichts erreichen!
Er nahm die Pistole in die Hand, er schnalzte mit der Zunge, er dachte: Vorwärts, und da ging auch das Pferd wieder. Die Geräusche kamen aus einer bestimmten Richtung, Kolja merkte es, und er merkte auch, das Pferd ging in der entgegengesetzten Richtung. Er unterschied für einen Augenblick, was da war: am Waldrand standen Föhren, er sah die rotgefleckten Stämme, die dünnen Fetzen der Rinde hingen wie Haut an dem Stamm, es sah aus, als ob ein Glied blutig abgezogen worden wäre. Und dahinter stieg ein grüner Gebirgshang auf und stieg noch höher und wurde ein blaues Gebirge. Das grüne Gebirge war die Wiese, die sich aus der Mulde gegen den Bemelmanhof aufschwang, das blaue Gebirge war der Himmel.
Kolja sah nicht den Himmel, für ihn war ein blaues Gebirge über einem grünen. Er hatte sich zwischen den Spinnfäden bewegen können, sie flogen heran und flohen zurück, und das hatte ihm Bewegung erlaubt; soweit sich die grauen Schleier fortstrickten, hatte er in die Tiefe sehen können, er
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