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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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den Himmel, sondern eine leere schwarze Wand. Er sah, daß der Himmel nicht blau war, sondern schwarz. Das Blau kam von der Luft, aber das war Täuschung, so wie aller Zusammenhang in diesen Ereignissen Täuschung war; aber die Täuschung in den Ereignissen galt nicht, es gab ja gar keinen Zusammenhang, auch den einen nicht: Liebe, Gutmachen, Heilung; es gab kein Grün, und gab kein Blau, – keinen Frieden, es gab kein Paradies, und also gab es auch keine Geschichte. Fremde Sternbilder, aufgezogen am schwarzen Himmel!
    Der Kapitän ließ sich durch den Dunst der Ereignisse nicht täuschen. Der Himmel war schwarz, ein Loch. Nur wenn oben kein Loch wäre, sondern ein Wesen, mit dem er unterhandeln könnte, hätte es auch hier herunten Wesen und Geschichten geben können. Sonst gab es keine Wesen und Geschichten, sondern nur einzelne Stücke. Da gab es keine Zweifel, – es war genau so, wie Spasso es immer behauptet hatte; da gab es ihn aufgebahrt im Flur: das war ein solches Stück. Aber daß es der Flur war und dieser Ort hier, war schon fast wieder zuviel an Zusammenhang; und keine Rede davon, daß einen der tote Spasso nun aufforderte, in die Ordnung zurückzukehren und sie aufrechtzuerhalten bis ans Ende der Tage; – nun war solch ein Tag – an solchem Tage kam es heraus: was Ordnung war, wußte niemand!
    Ich sitze allein da, das Haus ist kein Haus, und wer hier gekommen und gegangen ist, weiß ich nicht, ich kann mir den Faden davon nicht herüberspinnen, ich spinne überhaupt keinen Faden weiter.
    Der Kapitän war müde, ein alter Mann mit Falten auf der Stirn, mit einer grauen Haarbürste und mit schmutzigen silbernen Zähnen. Er war lange genug Kapitän gewesen, er wußte schon gar nicht mehr, wie lange, man hatte ihn verehrt, geliebt, gefürchtet, und ihm darin vertraut, daß er immer wußte, wie alles zusammenhing, auch wenn man es selber nicht erkannte; aber nun war er müde und sah nichts, das sich aneinanderknüpfte, und dachte nichts mehr, als was er hier war an dieser Stelle. Das freilich sah er nur allein, was wirklich geschah: seine Abdankung, sein Ende. Die anderen merkten es nicht sogleich, sie gehorchten ihm weiter. Aber er dachte nun auch nicht mehr: auf dem freien Gelände wird er uns heranrücken sehen und wird ein Ende machen, – Kolja, mein junger Wolf, – er sah ihn so: schwarz, und darunter diese Wiese als einen grünen Ort, an dem er erscheinen konnte; er war im Wald drin, also mußte er hier erscheinen. Was dann?
    Auch Kolja sah die Wiese; auch er sah sie grün, wie sie der Kapitän sah, aber den Himmel sah er noch blau. Nur sah er Wiese und Himmel als eine Wand von Kulissen, durch die er vielleicht eindringen konnte, immer noch in den Bereich, in dem Kosanna wohnte. Das Pferd riß ihn voran. Als es am Brett strauchelte und stürzte, fuhr droben am Hof gerade wieder der Kradfahrer vor, der Kapitän sah auf die Uhr und stieg noch einmal auf. Der Motor machte Lärm, der Kapitän konnte den Schuß nicht hören, mit dem Kolja das Pferd tötete.
    Sie fuhren auf dem schmalen Fußweg vorsichtig den Hang herunter, sie spreizten die Beine und hatten genug zu tun, auf den Weg zu sehen. Als sich die Mulde vor ihnen öffnete, sahen sie neben dem toten Schimmel Kolja stehen, – und sie sahen die Soldaten, die von allen Seiten aus dem Wald hervortraten. Kolja ging einen Schritt vor und wieder einen zurück, er hob die Pistole. Sie fuhren langsam auf ihn zu. Er wich noch einen Schritt zurück, seine Faust krampfte sich um den Schaft. Da krachte vom Waldrand her ein einziger Schuß, und er fiel um.
    Niemand wußte, wer geschossen hatte. Nur Bemelman hatte es gesehen. Er war, als der Kapitän zu seinem Haus gekommen war, hinter dem Tor an die Luke getreten. Und als der Kapitän abgefahren war, hatte er rasch vorgespäht, war hinausgelaufen und hatte alles, wie immer, genau gesehen. Der Schuß war über dem Wasserloch aufgeblitzt, er war vom Hochstand her abgegeben worden. Eine Weile später erfuhren es auch der Kapitän und die Leute, die auf die Wiese gerannt waren. Der Mann kletterte vom Hochstand. Er war weder von Spassos Streife noch von der Abteilung, die zum Rayon des Kapitäns gehörte, – er war einer der Scharfschützen, die als Posten an der Straße ihren Dienst machten. Er hatte sich diesen günstigen Platz, den Hochstand, schon von Anfang an selbst ausgesucht. Wozu bin ich Scharfschütze, sagte er. Er kam langsam heran und hob die leere Hülse hoch.

Neuntes Kapitel
In ihre andere

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