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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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brauchte nicht auf grüne und blaue Gebirge zu schauen: der tiefe Wald war sein Haus. Aber nun, wo keine Spinnfäden waren, fehlte ihm die Perspektive. Er konnte den Blick nicht lange genug festhalten, um den leeren Luftraum zu sehen, er sah nur eine Pappwand, plötzlich hereingeschobene Kulisse, unten wie Katzenfell die Schilfspitzen und die weißen Flocken des Wollgrases, und darüber die Wiesenwand als grünes wogendes, und die Himmelswand als blaues Gebirge. Und er dachte wieder: ich müßte schießen, um mir diese Wand aufzumachen; vielleicht zeigt sich dann, daß es gar keine Wand ist, – bleibt der Schuß nicht stecken in dieser Scheibe, so kann man auch hindurchgehen.
    Zwischen den geschundenen Föhrenstämmen stand ein anderer Baum: vier Stämme, aber nur eine Krone, der Hochsitz. Kolja sah die vier Stämme, statt der Wipfel trugen sie einen Korb aus Zweigen, und nun: aus den Zweigen spähte ein Gesicht vor. Es war das Gesicht eines Soldaten, und der Soldat sah auf Kolja. Der dachte: vorne ist das grüne Gebirge und dann das blaue, – ich muß da hinein, und wenn ich erst drin bin, werde ich in ihm verschwinden, es ist keine harte Wand, es sind Kulissen, eine hinter der anderen, und dazwischen kann ich verschwinden. Das Pferd tat einen Satz. Von dem scharfen Schilf gestochen, sprang es zu kurz, und trat in das Wasserloch, und knickte ein in dem weichen Schlamm, der Grund wich zurück wie ein Polster, aber Kolja meinte: daran kann es nicht liegen, daß das Pferd nur mühsam wieder emporklettert und zittert und nicht mehr weitergeht. Er sah das Gesicht des Mannes, der aus dem Jagdhochsitz auf ihn niederspähte, er sah auch das Gewehr, das der Mann in Anschlag hielt, er sah die anderen Soldaten, die plötzlich aus dem Waldrand hervortraten. Auf der anderen Seite wußte er die grüne Wand, und da gelang es ihm noch einmal, er wendete, er schnalzte mit der Zunge und sagte: Vorwärts; und das Pferd gehorchte ihm und trug ihn in die grüne Wand hinein. Aber dann war es zu Ende.
    Die Soldaten am Waldrand erblickten es wie auf einer Bühne: den grünen Schauplatz, dahinter die blaue Kulisse, und das Weiße, Koljas Schimmel, der über das Grüne hinflog mit triefender Mähne und von Morast bespritzt; er wieherte laut, und nun lief er nicht mehr, er war gestürzt und lahmte und konnte nicht laufen, also flog er in ein paar schrecklichen wilden Sätzen, – aber da war der Wassergraben, der die Wiese herunterkam, und das Brett, Axels Brett. Und die Leute sahen es, – das Pferd trat fehl, glitt ab, kam auf das Brett und fiel hin. Kolja erhob sich neben dem Pferd, das Pferd schlug um sich, er zog die Pistole und erschoß es. Endlich hatte er alles erschossen! er war allein.
    Zu dem Kapitän sprach es undeutlich: das Haus mit dem Strohdach, mit Tor und Fenster – aber er konnte es sich vorstellen, hier hatte Susanna gewohnt, hier war sie hinausgegangen zu Kolja; der Kapitän sah auch die Holzhütte und den Nußbaum.
    Er sah die grüne Wiese, die sich weit dehnte von flachen Hügeln und sich in der Schräge hinabschwang zu der Mulde bis an den Waldrand. Und dies nun konnte er sich genau vorstellen, wie Kolja hier in dem weiten Gelände herumgestreift war auf dem Schimmel, und dann das Haus entdeckt hatte und die Frau, und wie er für sie dann jedesmal aus dem Walde aufgetaucht war, und sie sich nicht hatte verbergen können vor diesem Besucher, wie sie ihm nicht hatte ausweichen können, nicht ins Dorf zurückgehen – sondern festgebunden gewesen war an dem Ort, ausgesetzt; und von weither hatte sie ihn schon gesehen: jetzt kommt er!
    Der Kapitän dachte: hier hat sie gewohnt, und vielleicht hat sie uns belogen, vielleicht waren wirklich Flüchtlinge da, und sie hat sie dann eben herausretten wollen, es gutmachen, – aus Liebe. Aber meine Lüge ist anders, ich habe ja geglaubt, ich könnte es überhaupt gutmachen, für alle, und das Ende davon ist, daß hier jetzt Spasso liegt, dieses Kind, mein Kind, das wiederum alles gutmachen wollte damit, daß er für mich eintreten wollte. Es gibt kein Gutmachen, wenn jemand das will, ist es schon viel schlimmerer Betrug, und bewirkt den Tod. Niemand hat Schuld, außer das ist Schuld, wenn jemand etwas gutmachen will. Deshalb ziehen wir jetzt auch das Netz zusammen; das Netz heißt: man kann es nicht gutmachen; wir beenden den Versuch und kämmen die Landschaft durch.
    Der Kapitän hob das Glas an die Augen und blickte über die Wiesen und die Waldspitzen hinweg. Da sah er nicht

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