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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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Welt
    Die Vororte und dann die Stadt, Kirchtürme, der Hauptplatz, verschlungene Straßen, Parks, der Bahnhof mit Heizhäusern und Werkstätten, und dann wieder Vororte mit Straßenzügen, die an Holzplanken aufhörten und deren auf Fortsetzung berechnete Häuser ihre Feuermauern kahl gegen den Dunst der Ebene kehrten, in der sich nichts fortsetzte, – zuletzt kam eine Landschaft mit Verschubgeleisen, Lagerplätzen und Hochspannungsleitungen, die sich ins Ungewisse dehnte, und dort draußen lag das Lazarett; eine Straßenbahn führte hinaus, ihr Draht hing an altmodischen gußeisernen Trägern. Es gab noch Reste der früheren Landschaft, einen ausgeweideten Bauernhof, verfallene Zäune, wuchernde Hecken, feuchte Flecken an der Mauer, – aber von allen Seiten waren Baracken, Schrebergärten und Schlackenwege dicht an ihn herangerückt. Es gab auch noch einen alten Birnbaum mit silbergrauer Rinde und ein Stück Wiese, aber die diente nun als Lagerplatz für Schrottwaren. Die Gegend hieß „Zur neuen Welt“; der Name kam von einem Wirtshaus mit Kegelbahn, Saalbau und gedeckter Reithalle, es stammte aus den Zeiten, da man geglaubt hatte, die Städte würden sich einfach vergrößern. Damals hatte man in dem Wirtshaus Gartenfeste gefeiert, mit Lampions, Blasmusik und Gondelfahrten in einem künstlichen Teich. Aber nun hatte der Krieg die Gegend abgeblättert, das Wirtshaus gesperrt, die Gondelfahrt zugeschüttet, und was ringsum „Neue Welt“ gewesen war, ein paar Wohnhäuser, Läden, ein Postamt, hatte er in ein Ruinenfeld verwandelt.
    Nur das Lazarett mit hohem Dach und Zwiebeltürmen war unversehrt geblieben. Es stand ein Stück seitab auf einem Hügel, ursprünglich war es ein Kloster gewesen, später hatte der Staat das Gebäude bekommen, da war es ein Irrenhaus gewesen; im Krieg war es Reservelazarett geworden, das Lazarett „Zur Neuen Welt“. Das Personal des Hauses war unterdessen aufgelöst, aber von den Insassen waren ein paar leichte Fälle geblieben und waren wieder Personal geworden, in der Küche, im Garten und auch auf den Stationen zu Hilfsdiensten gebraucht.
    So hörte Susanna es zuerst, als sie ankam; der Pförtner, ein gesprächiger junger Gefreiter mit einer tiefeingedrückten blassen Narbe auf der Stirn, erzählte es ihr nebenhin:
    Wir sagen das jedem Besucher gleich, sonst wundert er sich über unsere Aushilfsschwestern. Aber Sie brauchen sich nicht zu ängstigen, es sind alles ganz harmlose Fälle.
    Die Narbe des Gefreiten sah aus wie ein Stirnauge, das sich nur nicht ganz hatte ausbilden können, davon schon war Susanna irregemacht, dann auch von seinen Reden.
    Nun sah sie eine junge Frau mit eifrig lächelndem Gesicht, blitzenden Zähnen und ein wenig achtlos gekämmtem Haar unter der weißen gekrausten Haube. Sie konnte nicht glauben, daß diese schöne Person wirklich eine Schwester war. So viel Besonderes fiel ihr an ihr auf: wehrlose Schönheit und arme Freundlichkeit, das nur beim ersten Erblicken lebendig scheinende, dann schon starre Lächeln in dem wie zu Hingabe entblößten Gesicht, das Verstörte und Festgeschraubte in den wunderbar klaren Augen, – es zog sie an und ängstigte sie sogleich und zog sie wieder an.
    Sie sah die Frau an der Pforte stehen und konnte sich eine Weile nicht lösen von dem Wahnblick. Aber sie redete mit ihr in dem Augenblick, in dem Jorhan erschien. Nach dieser Reise voller Hast und Angst und nach den schrecklichen Ereignissen nun diese neue Begegnung, erwartet zwar, aber nun konnte sie auf einmal nicht mehr, so wie jemand, der schreien will und merkt, er hat die Stimme verloren, der laufen will und merkt, er ist lahm. So spaltete sichs in ihr: sie war am Ziel, aber an einem Ziel, vor dem sie sich fürchtete, und das sie eigentlich nicht hatte erreichen wollen. Zurück zu Jorhan – es muß sein, dachte sie noch; aber mußte es wirklich sein?
    Eine Tür aus Milchglas führte in einen Flur. Sie sah hinter dem Glas einen Schatten herzukommen und hörte Schritte, und erkannte die Schritte ihres Mannes. Der Gefreite mit der Narbe hatte mit ihm telephoniert, nun lächelte er ihr zu. Susanna sah nur den Schatten, der mit jedem Augenblick wuchs und sich bewegte und sich zu scharfem Umriß auffüllte, und schließlich drückte dieser Schatten drüben die Klinke ein. Da sträubte sich ihr Inneres dagegen, daß es ihr Mann sei, der da käme, und daß sie ihm begegnen solle; nein, es durfte nicht sein. Und da eben flüchtete sie sich zu der Frau mit dem leer

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