Der schüchterne Junggeselle
Besuchen der Warenhäuser während der Ausverkäufe. Man muß den Frauen ihre kleinen Eitelkeiten lassen. Gute Nacht, Sir.«
»Gute Nacht«, sagte George.
Er nahm das Kollier heraus, betrachtete es genau, steckte es in die Tasche zurück, knöpfte seinen Rock zu und ging in die Wohnung, um Molly anzurufen.
SIEBZEHNTES KAPITEL
1
Mrs. Waddington hatte einmal eine Geschichte gelesen, in der erzählt wurde, auf dem Gesicht einer Memme hätten in dem Augenblick, da ihre Schurkerei entdeckt wurde, Furcht, Entsetzen, Verblüffung, Bestürzung und jämmerliche Angst einander gejagt, und als sie an der Wohnung Mr. Lancelot Biffins im neunten Stockwerk den Klingelknopf drückte, erwartete sie einen ähnlichen Parademarsch der Empfindungen auf dem Mondgesicht ihres Hausmeisters zu sehen.
Sie wurde enttäuscht. Als Ferris ihr aufmachte, sah er nicht ganz so würdevoll aus wie sonst, doch das läßt sich dadurch erklären, daß wir Schriftsteller nach einem tödlichen Kampf am Schreibtisch immer dazu neigen, ein wenig zerzaust auszusehen.
»Mr. Biffin ist nicht zu Hause, Madame«, sagte Ferris gelassen.
»Ich will nichts von Mr. Biffin.« Mrs. Waddington war voll gerechter Empörung. »Ferris«, sagte sie. »Ich weiß alles! Sie haben keinen kranken Verwandten. Sie sind hier, um für den ›Stadtklatsch‹, für dieses Revolverblatt, einen pöbelhaften Bericht über die Ereignisse des heutigen Nachmittags zu schreiben. Sie sollten sich schämen!«
Ferris zog die Augenbrauen hoch.
»Ich wage es, Ihnen zu widersprechen, Madame. Der Beruf des Journalisten ist durchaus ehrenwert. Sehr viele schätzenswerte Männer haben für die Presse geschrieben.«
»Pah!«
»Madame?«
»Darüber werden wir später sprechen.«
»Sehr wohl, Madame.«
»Vorläufig wünsche ich, daß Sie mit mir auf das Dach kommen …«
»Zu meinem Bedauern muß ich mit aller schuldigen Ehrerbietung ablehnen. Ich bin nicht mehr geklettert, seitdem ich ein kleiner Junge war.«
»Aber eine Treppe können Sie doch hinaufgehen, nicht?«
»Oh, eine Treppe? Selbstverständlich, Madame. Ich werde Ihnen in einigen Minuten zur Verfügung stehen.«
»Sie müssen sofort kommen.«
Der Hausmeister schüttelte den Kopf. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Madame. Ich bin mit den letzten Sätzen des Artikels beschäftigt, den Sie soeben erwähnten, und lege großen Wert darauf, ihn fertig zu haben, bevor Mr. Biffin zurückkommt. Würden Sie die Freundlichkeit haben, einzutreten und zu warten, Madame?«
»Ich denke nicht daran, hereinzukommen.«
»Sehr wohl, Madame. Darf ich fragen, aus welchen Gründen meine Begleitung erwünscht ist?«
»Ich möchte, daß Sie – daß Sie sich etwas ansehen.«
»Wenn es sich um die Aussicht handeln sollte, Madame, möchte ich mir erlauben zu bemerken, daß ich schon auf dem Dach des Woolworth Building war.«
»Es handelt sich nicht um die Aussicht. Sie sollen sich einen Mann ansehen, der in offener Sünde lebt.«
»Sehr wohl, Madame. Ich werde Ihnen in wenigen Minuten zur Verfügung stehen.« Er schloß leise die Tür, und Mrs. Waddington blieb schwer atmend im Flur stehen. Bald drang von unten ein fröhliches Pfeifen zu ihr empor.
Lord Hunstanton wurde sichtbar.
»Hallo-allo-allo!« rief Lord Hunstanton vergnügt. »Da bin ich, da bin ich, da bin ich!« – was selbstverständlich heißen sollte, daß er da war.
Eine auffallende Änderung war an ihm zu konstatieren. Er zeigte jetzt die sorgenfreie und zufriedene Miene eines Menschen, der gut gespeist hat. Das Funkeln in seinen Augen sprach von Bouillon, das Lächeln seiner Lippen erzählte beredt von gebratener Ente und grünen Bohnen. Für Mrs. Waddington, die seit dem Lunch keinen Bissen Brot genossen hatte, war er ein widerwärtiger Anblick.
»Ich hoffe, Sie haben gut gegessen«, sagte sie in eisigen Tönen.
Das sonnige Lächeln Seiner Lordschaft vertiefte sich, und in seine Augen stahl sich etwas Verträumtes. »O ja! Ich begann mit einem würzigen Löffel Julienne und ging dann über einen pikanten Hummer zu dem besten jungen Long-Island-Entlein über, das mir in meinem ganzen Leben auf die Zunge gekommen ist.«
»Seien Sie still!« rief Mrs. Waddington tief erschüttert.
»Ich krönte das Ganze mit …«
»So seien Sie doch still! Ich habe nicht die geringste Lust, alle Einzelheiten Ihres Essens kennenzulernen.«
»O Verzeihung! Ich dachte.«
»Sie sind lange genug weggewesen, um ein halbes Dutzend Dinners zu essen. Trotzdem will der Zufall,
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