Der Schuldige: Roman (German Edition)
Gang. Es wehte ein leichter Wind, und alle Grashalme beugten sich ihm wie in tiefer Verehrung entgegen.
Daniel wusste, dass die Jungen sich rächen könnten, aber er fühlte sich gut, als er auf die Farm zuging. Seine Schritte waren leicht. Sie würden es sich zweimal überlegen, bevor sie wieder über sie herzogen. Sie war jetzt seine Mutter; er würde für sie eintreten.
Als Daniel bei der Farm ankam, war alles still. Die Hennen stolzierten herum und pickten, aber leise, und die Zickel erhaschten einen raschen Schluck vom Euter, der ihnen beim Dunkelwerden verwehrt würde. Die Gänseblümchen im Gras stemmten sich gegen den Wind.
Minnie war dabei, den Gefrierschrank abzutauen. Daniel ging pinkeln, sobald er nach Hause kam. Er wusch sich die Hände und sah in den Spiegel. Er zog sein T-Shirt hoch, um einen Blick auf seine Rippen zu werfen. Er hatte nicht einen Kratzer abgekriegt. Sie würde nicht erraten, dass er sie verteidigt, für sie gekämpft und gesiegt hatte.
Er straffte unwillkürlich die Schultern, als er in die Küche trat.
Sie stand in ihren Gummistiefeln da und hämmerte mit einem Holzspatel auf das gesinterte Eis im Tiefkühlschrank ein.
»Heilige Muttergottes, ist es schon so spät?«, sagte sie, als er hereinkam. »Sicher, und ich dachte, es wäre erst zwei durch. Du wirst deine Sandwiches haben wollen, und ich hab sie noch nicht mal fertig.«
Daniel wischte sich Nase und Stirn mit dem Ärmel und wartete, während sie Bananenscheiben auf frisches Weißbrot drückte und ihm ein Glas Orangensaft eingoss. Er goss den Saft herunter und aß das halbe Sandwich, ehe er etwas zu ihr sagte.
»Warum machst du ’nn das?«, fragte er und zeigte auf den offenen, tropfenden Kühlschrank.
»Es ist wie mit allen Dingen im Leben, Danny. Ab und zu muss man den Hammer rausholen und wieder von vorn beginnen.«
Daniel war sich nicht sicher, was sie damit meinte. Er begann mit der anderen Hälfte seines Bananen-Sandwichs. Die Fenster waren offen, und der Jauchegeruch von der Nachbarfarm wehte herein. Minnie trank ihren Tee auf einen Zug, dann griff sie wieder zu Hammer und Spatel und hackte mit lauten, harten Schlägen auf das Eis ein.
»Ich hab heute in meiner Geschichtsklassenarbeit ein A gekriegt!«, rief er. Sie stoppte ihren Angriff gegen den Kühlschrank lange genug, um ihm zuzuzwinkern.
»Kluger Junge. Ich hab’s dir ja gesagt. Du bist viel zu gescheit. Wenn du dir auch ’n bisschen Mühe gibst, verpasst du ihnen allen nächste Woche ein Ding, dass ihnen Hören und Sehen vergeht … Ich hab’s dir ja gesagt.«
Blitz stahl sich nach nebenan, um dem lauten Gehämmere zu entfliehen. Eis glitt über den Küchenboden, geräuschlos und wässerig wie Reue.
Daniel aß sein Sandwich auf, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und leckte seine Finger ab. Er bemerkte, dass Minnie ihn ansah, den Hammer in der Hand. Sie wischte sich die Stirn mit ihrem nackten Unterarm und legte ihre Werkzeuge im Kühlschrank ab. Sie setzte sich neben Daniel und legte eine schwere, rote Hand auf seinen Schenkel.
»Was ist?«, fragte Daniel und wischte sich die Nase mit seinem Ärmel.
»Ich habe mit Tricia gesprochen.«
Die Küche, voller Lichtperlen und Toastgerüche und Wärme, war plötzlich gespannt wie die Saiten einer Geige. In der Diele bettete der Hund seine Nase auf seine Pfoten. Daniel wartete, die Wirbelsäule gerade aufgerichtet. Minnie hatte noch immer ihre schwere Hand auf seinem Bein. Sie begann, sein Knie zu massieren.
»Ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, Danny. Gott weiß, dass ich dir mehr Kummer ersparen möchte, aber du hast mich gebeten, es rauszufinden.«
»Was ist denn? Ist sie wieder im Krankenhaus?«
»Es ist ja nie die richtige Zeit, also werde ich’s dir einfach sagen. Ich hab’s heute erfahren.«
Minnie biss sich auf die Unterlippe.
»Sie ist im Krankenhaus, nicht? Sie ist wieder krank.«
»Diesmal war es schlimmer, Schatz.« Sie sah ihn ohne zu blinzeln an, als würde er es wissen, ohne dass sie es ihm sagen müsste.
»Was denn?«
»Liebling, deine Mum ist tot.«
Die Welt war gleichzeitig sehr still und sehr laut. Alles schien innezuhalten, und Daniel fühlte die Pause, die Stille. In seinen Ohren klingelte es. Es war wie zuvor, vor der Rauferei. Es war, als hätte er für einen oder zwei Augenblicke das Gleichgewicht verloren. Der Lärm in seinen Ohren ließ ihn den Worten misstrauen, die er gehört hatte, und dennoch bedeutete die Angst, die er in seinem Rachen schmeckte –
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