Der Schuldige: Roman (German Edition)
zunächst war ich nicht sehr besorgt. Es waren halt zwei kleine Jungs, die sich ein bisschen kabbelten, aber einer von ihnen bekam langsam die Oberhand. Ich weiß noch, er packte den Kleineren bei den Haaren und zwang ihn runter auf die Knie. Er boxte ihn in die Nieren und den Bauch. Ich habe zwei Söhne, und Jungs sind nun mal Jungs, und normalerweise würde ich mich nicht einmischen, aber das erschien mir ziemlich übertrieben, irgendwie gefährlich oder … brutal.«
»Welcher von den beiden Jungen, die Sie beschrieben, schien ›die Oberhand zu bekommen‹?«
»Der etwas größere Junge, der in Weiß.«
»Sie haben die Jungen angesprochen – was haben Sie gesagt?«
»Na ja, es schien halt so, dass sie ein bisschen grob miteinander umgingen, verstehen Sie. Ich sagte, sie sollten den Quatsch lassen.«
»Was passierte?«
»Na ja, sie hörten auf, und einer von den Jungs drehte sich zu mir um, lächelte und sagte, sie würden doch nur spielen.«
»Welcher Junge war das?«
»Der Angeklagte. Ich war nicht völlig beruhigt, aber wie gesagt, Jungs sind nun mal Jungs – ich ließ sie einfach machen.« Rankines Wangen wurden plötzlich grau. Er ließ den Kopf hängen. »Ständig sehe ich alles wieder vor mir. Ich hätte nicht weggehen sollen, verstehn Sie. Ich hätte etwas tun sollen … Wenn ich nur geahnt hätte, was passieren würde.«
Rankine richtete sich plötzlich kerzengerade auf. Er blickte hinauf in die Mitte des Gerichtssaals, wo die Stokes’ saßen. »Es tut mir leid«, sagte er.
Gordon Jones nickte verständnisvoll, dann fuhr er fort: »Sie sagen, sie gingen grob miteinander um ? Sahen Sie es als ein grobes Spiel an, das ihnen einfach etwas entglitt, oder würden Sie sagen, dass eines der Kinder der Aggressor war?«
»Vielleicht, ja, ich denke schon. Es ist zwar schon eine Weile her, aber ich denke, der Junge in dem weißen Hemd … Er war derjenige, über den mich die Polizei befragte nach dem Fund der … Leiche.« Mr. Rankine schüttelte den Kopf und bedeckte seine Augen mit einer Hand.
»Was haben die Jungen gemacht, als Sie sie angesprochen hatten?«
»Na, sie gingen ihrer Wege, und ich ging auch weg.«
»In welche Richtung sind die Jungen gegangen?«
»Durch den Park in Richtung Abenteuerspielplatz … da wo der Jugendklub ist.«
»Von einem der Jungen sagten Sie, er habe sich ›in Not‹ befunden?«
»Na ja, die Polizei hat mich danach befragt, und ich denke, ja, ich denke, das war der Fall.«
»Bei welchem Jungen bemerkten Sie, dass er in Not war?«
»Tja, ich meine, ich sagte, bei dem im roten T-Shirt …«
»Und daran erinnern Sie sich noch genau?«
»Ich denke ja. Soweit ich mich erinnern kann.«
»Welche Merkmale oder Erscheinungen am Verhalten des Jungen führten Sie zu der Annahme, dass er sich in Not befand?«
»Na ja, ich meine, der Junge in dem roten Hemd könnte geweint haben.«
»Könnte geweint haben?«
»Na ja, inzwischen war ich weiter weg, ein paar Meter. Es sah ganz so aus.«
»Damit meinen Sie Jammern, ein rotes Gesicht, Tränen?«
»Tränen vielleicht, ja, vielleicht Tränen und ein rotes Gesicht. Ich meine mich zu erinnern, dass er sich die Augen rieb.«
Mr. Rankine blickte in die Ferne, während seine wässerigen Augen das zu sehen versuchten, was er Monate zuvor gesehen und ignoriert hatte.
»Der Angeklagte hat bei seiner Befragung bestätigt, dass er Sie an dem Tag kurz nach zwei Uhr tatsächlich gesehen hat und dass Sie ihm und dem Verstorbenen zugerufen haben, mit der Prügelei aufzuhören. Haben Sie die Jungen an dem Tag zu einem anderen Zeitpunkt sich noch mal prügeln sehen?«
»Ja, viel später, es muss etwa halb vier oder vielleicht sogar vier Uhr gewesen sein. Ich ging gerade einkaufen. Ich blickte rüber zum Park und sah auf dem Abenteuerspielplatz, wie sich dieselben Jungs schon wieder prügelten. Ich erinnere mich daran, weil ich überlegte, über die Straße zu gehen und sie noch mal zu rüffeln … Ich wollte, ich hätte es getan …«
»Schildern Sie dieses zweite Mal.«
»Ich schaute rüber zum Park, als ich einkaufen ging. Ich sah sie – dasselbe weiße Hemd und rote T-Shirt. Ich sah, wie der Junge in Weiß den Jungen in Rot mit den Fäusten bearbeitete.«
»Aber dieses Mal unternahmen Sie nichts?«
»Nein«, sagte Rankine, der im Zeugenstand zu schrumpfen schien. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid.« Er hielt sich eine Hand vor den Mund und drückte die Augen zu.
»Was veranlasste Sie, diese beiden Begegnungen der Polizei
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