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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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sich an ihrem Pult nach vorn, Schultern fast auf Ohrenhöhe. Daniel fand, sie sah aus wie ein Mädchen, das sich aus einem Fenster beugt, um einer Parade zuzusehen.
    »Ich würde sagen, in einunddreißig Jahren hatte ich direkt mit Hunderten von Fällen zu tun, vielleicht weniger, aber vielleicht auch mehr als fünfhundert.«
    »Und bei wie vielen Prozessen haben Sie in Ihren einunddreißig Dienstjahren als Zeuge ausgesagt?«
    »Über hundert, da bin ich sicher.«
    »Zweihundertdreiundsiebzig, um genau zu sein. Sie sind wirklich ein fachkundiger Zeuge. Sagen Sie, wie viele Male haben Sie in diesen zweihundertdreiundsiebzig Fällen für die Verteidigung ausgesagt?«
    »Meine Aussagen sind unparteiisch, und ich bin der Verteidigung als auch der Anklage gegenüber unvoreingenommen.«
    »Natürlich. Ich will klarstellen: In wie vielen Ihrer zweihundertdreiundsiebzig Prozesse haben Sie als Zeuge der Anklage ausgesagt?«
    »In den meisten.«
    »In den meisten. Würden Sie eine Schätzung wagen, in wie vielen?«
    »Vielleich in zwei Dritteln?«
    »Nicht ganz, Mr. Watson. In zweihundertdreiundsiebzig Prozessen sind Sie als Zeuge für die Verteidigung ganze drei Mal vorgeladen worden. Dreimal in dreißig Jahren. Überrascht Sie das?«
    »Ein bisschen, ich hätte einige mehr erwartet.«
    »Ich verstehe. Einige mehr. Was Ihre Qualifikationen betrifft, sehe ich, dass Sie einen Bachelor of Arts der Universität Nottingham haben … Wirtschaftswissenschaft. Finden Sie Wirtschaftswissenschaft für Ihr derzeitiges Betätigungsfeld nützlich?«
    »Ich bin inzwischen staatlich geprüfter Biologe.«
    »Ich verstehe. Sie haben ausgesagt, es hätten sich Fasern von Ben Stokes’ Jeans an der Kleidung des Angeklagten befunden. Sagen Sie, würde man nicht erwarten, dass zwei Jungen – Nachbarkinder –, die zusammen spielen, Fasern von der Kleidung des jeweils anderen an ihren Sachen haben, und das vom ganz normalen Spielen?«
    »Das ist möglich, ja.«
    »Desgleichen die abwehrenden Kratzer am Angeklagten und die Haut unter den Nägeln des Opfers – die könnten doch auf eine ganz normale Kabbelei zwischen zwei Schuljungen zurückzuführen sein, nicht wahr?«
    »Das ist möglich.«
    »Und Sie haben außerdem festgestellt, dass das Blut an Sebastians Kleidung ausgeatmetes Blut ist. Sie haben ausgesagt, das sei mit einem Schlag auf die Nase oder ins Gesicht zu erklären. Richtig?«
    »Ja.«
    »Der Angeklagte hat ausgesagt, dass das Opfer gestürzt ist und sich die Nase verletzt hat, als sie zusammen waren, sodass sie heftig blutete. Mein Mandant hat ausgesagt, dass er sich über das Opfer gebeugt hat, um sich die Verletzung anzusehen. Sagen Sie, ist es möglich, dass das identifizierte ausgeatmete Blut unter diesen eher harmlosen Umständen übertragen worden sein könnte?«
    »Die Blutspritzer sind auf Kraftanwendung zurückzuführen, und ich sehe dies als die wahrscheinlichere Ursache an, aber es ist möglich, dass die Übertragung ausgeatmeten Bluts von der Unfallverletzung herrühren könnte, die Sie schildern.«
    »Noch eines«, sagte Irene. »Die Menge des Bluts an der Kleidung des Angeklagten – ausgeatmet, Kontaktspuren oder sonst was – ist minimal, würden Sie sagen?«
    »Es befindet sich eine geringe Menge Blut an der Kleidung.«
    »Das übertragene Blut war bei der kriminaltechnischen Untersuchung deutlich sichtbar – aber auf den Fotos auf Seite dreiundzwanzig der Unterlagen ist es für das bloße Auge nicht deutlich erkennbar.«
    Sebastian sah mit großen Augen zu. Daniel erinnerte sich, Kinder von Freunden beobachtet zu haben, die sich Videospiele ansahen: ihre Reglosigkeit, unnatürlich bei so kleinen Kindern. Sebastians Aufmerksamkeit jetzt war ebenfalls unnatürlich. Er brütete über den Fotos von den Blutspritzern auf der verschmutzten Kleidung.
    »Die Blutflecken waren für das bloße Auge erkennbar, aber sie waren nicht so groß oder bedeutsam, um klar als Blut identifiziert zu werden.«
    »Ich verstehe. Danke für diese Klarstellung, Mr. Watson … Bei einer ernsten Verletzung dieser Art – Gesichtstrauma aufgrund stumpfer Gewalt –, die offenbar zugefügt wurde, als der Angreifer sich in unmittelbarer Nähe zu dem Opfer befand, würden wir da nicht erwarten, dass der Angreifer … mit Blut besudelt sein müsste?«
    Watson rutschte auf seinem Platz hin und her. Daniel beobachtete ihn. Seine rötliche Gesichtsfarbe legte den Verdacht nahe, dass er schnell wütend werden konnte.
    Der Zeuge räusperte sich. »Die

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