Der Schuldige: Roman (German Edition)
Art der Verletzung würde mit erheblichem Blutverlust einhergehen, und wir würden die Übertragung einer erheblichen Blutmenge auf den Angreifer erwarten.«
»Würden Sie bei dieser Art Trauma durch stumpfe Gewalt die Menge an ausgeatmetem Blut und an Kontaktspuren normalerweise bedeutend größer erwartet haben als die Spuren, die an der Kleidung des Angeklagten festgestellt wurden?«
»Wir müssen uns die Lage des Leichnams und die Tatsache vor Augen führen, dass die Schädigung zum größten Teil durch innere Blutungen eingetreten ist …«
»Ich verstehe«, sagte Irene. »Aber Sie haben eben gesagt, dass Sie nichtsdestoweniger die Übertragung einer erheblichen Menge Blut erwarten würden.«
Wieder räusperte sich Watson. Er blickte sich im Gerichtssaal um, als suche er Hilfe. Jones starrte ihn an, das Kinn zwischen zwei Finger geklemmt.
»Mr. Watson, ist es nicht so, dass wir erwartet haben würden, dass bei dieser Art von Verletzung die Kleider des Angreifers mit Blut besudelt wären?«
»Normalerweise hätten wir eine größere Anzahl von Kontaktspuren oder Übertragungen von Blut durch die Luft erwartet.«
»Danke, Mr. Watson.«
Das Kreuzverhör war so gut gelaufen, dass Irene beschloss, zu Beginn der Verteidigung nicht deren Kriminaltechniker aufzurufen. Dass der Wissenschaftler der Staatsanwaltschaft zugunsten der Verteidigung umgestimmt werden konnte, war wesentlicher.
Die Woche endete mit der Anhörung der Pathologin der Staatsanwaltschaft, Jill Gault. Als sie den Zeugenstand betrat, war sie so herzlich und ermutigend, wie sie Daniel in ihrem Büro über dem St. James’s Park erschienen war. Sie war groß, trug Stiefel und ein graues Kostüm. Sie sah aus wie jemand, der an Wochenenden rudern geht, unbeeindruckt von dem Wissen, wie – genau – der Schädel eines Kindes zertrümmert worden war.
»Dr. Gault, Sie haben eine Autopsie an dem Opfer, Benjamin Stokes, durchgeführt?«, begann Jones.
»Ja, das stimmt.«
»Können Sie uns sagen, zu welchem Schluss Sie hinsichtlich der Todesursache gekommen sind?«
»Todesursache war ein akutes subdurales Hämatom entsprechend einem Trauma durch stumpfe Gewalt – ausgelöst durch einen Schlag gegen die rechte Vorderseite des Schädels.«
»Und wie, Dr. Gault, würden Sie ein subdurales Hämatom in allgemein verständlicher Sprache nennen?«
»Tja, es ist im Grunde eine Gehirnblutung, die steigenden Druck auf das Gehirn ausübt und die, falls nicht behandelt, zum Hirntod führt.«
Ein Modell des Gehirns und der geschilderten Verletzung wurde für die Geschworenen projiziert, um den genauen Ort der Verletzung zu zeigen. In den Geschworenenunterlagen befand sich ein Foto von Ben Stokes’ Gesicht. Sebastian betrachtete es genau, dann beugte er sich zu Daniel hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Warum ist denn sein anderes Auge nicht zu? Gehen die Augen denn nicht zu, wenn man tot ist?« Daniel spürte die weichen Finger des Jungen auf seiner Hand. Er beugte sich hinunter, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Dr. Gault, haben Sie das Werkzeug ermittelt, mit dem dieser tödliche Schlag gegen den Kopf ausgeführt wurde?«
»Die Verletzung rührte von stumpfer Gewalt her – das Mordwerkzeug musste daher ein stumpfer, schwerer Gegenstand sein. Ein Ziegelstein wurde am Tatort gefunden, und kleine Ziegelstückchen wurden aus der Wunde im Gesicht geborgen.«
Der Justizangestellte brachte eine Beweismitteltasche herein, und ein in Cellophan eingeschlagener Backstein wurde den Geschworenen gezeigt.
»Dieser Backstein wurde am Tatort gefunden, und Untersuchungen bestätigen, dass Blut, Gehirnmasse, Haut und Haare, die an dessen Oberfläche festgestellt wurden, dem Opfer zuzuordnen sind. Fanden Sie, dass Form und Größe des Backsteins mit den vom Opfer erlittenen Verletzungen übereinstimmen?«
»Ja, die Umrisse des Backsteins stimmen genau mit denen der Wunde überein.«
Wieder wurde anhand eines Modells gezeigt, wie der Backstein in die Wunde passte.
Sebastian wandte sich zu Daniel um und lächelte. »Das ist der echte Backstein«, flüsterte er mit honigsüßem Atem.
Daniel nickte und streckte eine Hand aus, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Die Bilder von Ben Stokes’ verstümmeltem Gesicht blitzten auf den Bildschirmen auf, die für den Richter, die Geschworenen und Anwälte bereitstanden, für die Galerie aber nicht einsehbar waren. Das linke Auge des Kindes stand offen – wie Sebastian bemerkt hatte –, weiß und klar; das rechte erinnerte
Weitere Kostenlose Bücher