Der Schuldige: Roman (German Edition)
Schreibmaschinenpapier ab.
»Ich bin stolz, einer der Menschen zu sein, die sich heute hier zu Ehren einer wunderbaren Frau versammelt haben, die Freude gebracht hat ins Leben von uns allen und von vielen mehr jenseits dieser Mauern. Minnie ist für uns alle ein Beispiel, und ich hoffe, sie war stolz auf alles, was sie in ihrem Leben zuwege gebracht hat.
Ich lernte Minnie in meiner beruflichen Eigenschaft nach dem tragischen Tod ihres Mannes Norman Flynn und ihrer Tochter Cordelia Rae Flynn kennen – mögen sie in Frieden ruhen.«
Daniel richtete sich auf und holte tief Luft. Cordelia Rae . Ihren vollen Namen hatte er nie gekannt. Die seltenen Male, die Minnie sie erwähnt hatte, war sie Delia gewesen.
»Im Laufe der Jahre lernte ich ihre Freundschaft schätzen und sie als eine Person respektieren, die anderen auf eine Weise Hilfe leistete, wonach wir alle streben sollten. Minnie … war eine Rebellin.«
Zaghaft kam tränenreiches Lachen auf. Daniel zog die Stirn kraus und atmete flach.
»Ihr war egal, was irgendjemand von ihr dachte. Sie zog an, was sie wollte, sie tat, was sie wollte, und sie sagte, was sie wollte, und man musste … sich wohl oder übel damit abfinden.«
Wieder Lachen, das klang, als würde ein Teppich ausgeklopft.
»Aber sie war ehrlich und freundlich, und es waren diese Eigenschaften, die sie zu einer Pflegemutter von Dutzenden von gefährdeten Kindern und wieder eine Mutter werden ließen, als sie in den Achtzigerjahren ihren lieben Sohn Danny adoptierte, der dankenswerterweise heute bei uns sein kann …«
Die Frauen, die rechts von Daniel saßen, wandten sich zu ihm um. Er fühlte, wie ihm Röte in die Wangen stieg. Er beugte sich auf seinen Ellenbogen nach vorn.
»Die meisten von uns heute hier kennen Minnie als Kleinbäuerin – wir haben entweder an ihrer Seite gearbeitet oder ihre Produkte gekauft. Auch hier bewies sie ihre Fürsorge und Aufmerksamkeit in der Art, wie sie für ihre Tiere sorgte. Der kleine Hof war nicht bloß ein Lebensunterhalt, auch die Tiere waren ihre Kinder, und sie hegte und pflegte sie, wie sie alle hegte und pflegte, die ihrer bedurften. Als Freund ist das mein letzter Eindruck von ihr. Sie war unabhängig, sie war rebellisch, sie war Herrin ihrer selbst, aber mehr noch als all das war sie ein fürsorglicher Mensch, und die Welt ist durch ihren Verlust so viel ärmer geworden. Gottes Liebe dir, Minnie Flynn, mögest du in Frieden ruhen.«
Daniel sah, dass die Frauen, die neben ihm saßen, ihre Köpfe neigten. Er tat dasselbe, während er noch immer das Brennen auf seinen Wangen spürte. Eine der Frauen fing an zu weinen.
Cunningham setzte sich, und die Frau, die rechts von ihm saß, klopfte ihm auf die Schulter. Der Pfarrer stützte sich mit beiden Händen auf das Lesepult.
»Wir kommen nun zu der Bestattung, und Minnie hat sich gewünscht, dass wir uns dieses Musikstück anhören, das etwas Besonderes für sie war. Das irdische Leben von Minnie hat geendet, und wir übergeben nun ihren Leib den Elementen. Erde zu Erde, Asche zu Asche und Staub zu Staub, vertrauend auf die unendliche Gnade Gottes …«
Daniel hielt den Atem an. Er blickte sich um und überlegte, woher die Musik kommen würde. Ehe er die Klavierakkorde hörte, wusste er, welches Stück sie ausgesucht hatte.
Als die Musik einsetzte, spürte er unwillkürlich, wie sich die Spannung in seinem Körper löste. Die beschwingten, drängenden Schritte der Musik trugen ihn mit sich, als er zusah, wie die Vorhänge sich langsam über ihren Sarg senkten. Die Zeit schien zu zögern und stillzustehen, und wie er so mit diesen Fremden dasaß und der Musik lauschte, die ihr so vertraut war wie ihm, begann er, sich zu erinnern.
Augenblicke seines Lebens drängten sich in den Vordergrund und verschwanden wieder wie die Töne selbst. Das Ais und dann das B: Er öffnete entsetzt den Mund, als er die Röte auf seinen Wangen fühlte. Der Hals tat ihm weh.
Wie lange es her war, dass er das ganze Konzert gehört hatte. Zuletzt hatte er es wohl als Halbwüchsiger vernommen; in seiner Erinnerung war es schmerzlicher, die Dissonanz schärfer. Jetzt war er über die Heiterkeit des Stücks erstaunt und dass – in seiner Gesamtheit – seine Harmonie wie seine Dissonanz genau richtig erschien.
Die Gefühle, zu denen die Musik verleitete, waren ihm neu. Bis ganz zum Schluss biss er die Zähne zusammen, um seinen Schmerz nicht zuzulassen. Er erinnerte sich an ihre warmen, starken Finger und ihre weichen
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