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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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aber die Polizei geht von keinem Verbrechen aus.
    Daniel saß schweigend in dem kalten Wohnzimmer. Als Kind hatte er versucht, sie nach ihrer Familie zu fragen, aber sie war dem Thema immer ausgewichen. Der übrige Inhalt des Karteikastens waren Bildchen, die Delia gemalt hatte: Fingerfarbenbilder, Frottagen von Blättern und Mosaiken aus Linsen und Makkaroni. Ohne zu wissen, warum, faltete Daniel die beiden Zeitungsausschnitte zusammen und schob sie in seine Gesäßtasche.
    Es war kalt, und er stampfte beim Herumlaufen mit den Füßen. Er griff zum Telefon, aber es war tot. Der Anrufbeantworter blinkte, und er spielte die Mitteilungen ab.
    Er vernahm eine flüsternde Frauenstimme: »Minnie, ich bin’s, Agnes. Ich hab gehört, du kannst am Sonntag nicht kommen. Ich wollte dir nur sagen, ich übernehme gerne deinen Marktstand. Ich hoffe, es geht dir nicht allzu schlecht. Wir sprechen uns später, denke ich …«
    Der Apparat schaltete auf die nächste Mitteilung.
    »Mrs. Flynn, hier spricht Dr. Hargreaves. Ich hoffe, Sie können mich zurückrufen. Ich habe die Ergebnisse vom Facharzt. Sie haben Ihren letzten Termin nicht wahrgenommen. Die Resultate erfordern eine Besprechung, und ich hoffe, Sie sind in der Lage, einen neuen Termin zu vereinbaren. Vielen Dank.«
    Ende der Mitteilungen , erklärte der Apparat.
    Briefe stapelten sich auf dem Stuhl neben dem Telefon in der Diele. Daniel blätterte sie durch. Es lagen da rote Briefe vom Stromversorger und von der Telefongesellschaft, Briefe vom Königlichen Tierschutzverein und vom Behandlungszentrum für kranke Haustiere, Exemplare von Farmers Weekly . Daniel fegte sie auf den Boden und setzte sich, eine Hand vor dem Mund.
    Die Eiseskälte der dissonanten Töne erklang in seinem Kopf. Tot. Tot. Tot.
    Daniel sah sich außerstande, die Nacht in Minnies ächzendem Haus zu verbringen. Er fand ein Zimmer in einem Hotel am Ort, wo er ein allzu rohes Steak aß und eine Flasche Rotwein trank. Er schlief in seinen Kleidern auf den Nylonüberzügen des Betts ein. Das feuchte Zimmer roch, als wenn jemand darin gestorben wäre. Er hatte Cunningham, Minnies Anwalt, von der Straße aus angerufen. Wie er es erwartet hatte, fand die Trauerfeier in der Kapelle des Krematoriums an der Crawhall statt.
    Es war ein Dienstag. In Brampton war es kälter als in London, die Sonne von Wolken verdeckt. Daniel roch die Bäume in der Luft, und ihr unerbittliches Grün war bedrückend. Es war allzu still, und die Leute drehten sich zu ihm um, wenn sie seine Schritte hörten. Er sehnte sich nach der Anonymität, der Hast und dem Lärm von London.
    Die Türen zu der Kapelle standen offen, als er ankam, und er wurde nach drinnen geführt. Der Saal war etwas über halb voll. Die Trauergäste waren Männer und Frauen in Minnies Alter. Daniel setzte sich ziemlich weit hinten in die Mitte einer der leeren Bankreihen. Ein großer, magerer, grau gekleideter Mann mit beginnender Glatze näherte sich ihm.
    »Sind Sie … Danny?«, flüsterte der Mann, obwohl die Andacht noch nicht begonnen hatte.
    Daniel nickte.
    »John Cunningham, erfreut, Sie kennenzulernen.«
    Seine Hand war trocken und hart. Daniel empfand seine eigene schweißnass.
    »Ich bin so froh, dass Sie sich entschlossen haben herzukommen. Kommen Sie nach vorn. Sieht besser aus.«
    Daniel hätte sich gern hinten versteckt, aber er stand auf und folgte Cunningham nach vorn. Frauen, die er aus seiner Kindheit kannte, Farmer, die mit Minnie Marktstände betrieben hatten, nickten ihm zu, als er sich hinsetzte.
    »Es gibt keine Drinks oder sonst was hinterher«, flüsterte Cunningham Daniel ins Ohr. Sein Atem roch nach Milchkaffee. »Aber wenn Sie hinterher für einen Schwatz Zeit haben …?«
    Daniel nickte einmal.
    »Ich werde für sie ein paar Worte sagen. Möchten Sie das vielleicht auch? Ich kann mit dem Pfarrer reden?«
    »Ist schon gut«, sagte Daniel und wandte sich ab.
    Er stand die kurze Zeremonie mit so fest zusammengebissenen Zähnen durch, dass die Muskeln in seiner rechten Wange zu schmerzen begannen. Es wurden Choräle gesungen, gefolgt von den routinierten freundlichen Worten des Pfarrers in einem abgeschliffenen Carlisle-Akzent. Daniel stellte fest, dass er den Sarg anstarrte, weil er noch immer nicht glaubte, dass sie wirklich da drin lag. Er schluckte, als der Pfarrer John Cunningham bat, seine Trauerrede zu halten.
    Am Lesepult räusperte sich Minnies Anwalt geräuschvoll und las von einem zusammengefalteten Blatt

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