Der Schuss nebenan Kommissar Morry
schmerzhaft das Gesicht; erst als der Schmerz nachließ, drückten seine Züge aus, was er ebenfalls empfand; grenzenloses Erstaunen.
Das Erstaunen wich sehr rasch einem dumpfen Zorn. Er fühlte, daß er hier nicht versagen durfte. Schließlich kämpfte er vor Zeugen, und damit um sein Prestige. In seinem Rücken stand der Chef, und hinter Lord Bramsey befand sich die Blondine aus der Anmeldung.
Er mußte den blamablen Beginn durch einen raschen Erfolg wettmachen!
Ein linker, gerade herausgestochener Haken schien ihm das beste Mittel zu sein, seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Betrüblicherweise schoß seine Faust ins Leere, denn Lord Bramsey hatte den Kopf rechtzeitig beiseite genommen. Nicht genug damit, nahm Lord Bramsey sich die Freiheit, sofort zurückzugeben. Der junge Bursche war endgültig gewarnt. Er hatte seine Deckung sofort geschlossen. Leider blieb ihm keine Zeit, über die erstaunliche Tatsache nachzudenken, warum ausgerechnet ein Lord so fabelhaft mit den Fäusten umzugehen verstand. Der Kampf erreichte sofort einen gewissen Klimax ... als wäre die Zeit der Auseinandersetzung auf nur eine Runde beschränkt.
Haggart kaute mit verkniffenen Augen auf der schwarzen, struppig aussehenden Zigarre herum. Was er sah, gefiel ihm nicht. Tommy war einer seiner Lieblinge, der reaktionsschnellste Bursche seiner persönlichen Leibwache. Tommy mußte einfach siegen! Aber bis jetzt, das unterlag keinem Zweifel, blieb Tommy nichts anderes übrig, als abzuwehren. Verdammt beweglicher Bursche, dieser Lord, dachte Haggart voll Mißmut und heimlicher Anerkennung. Na ja, bald wird ihm die Puste ausgehen, und dann ist Tommys Zeit gekommen! Aber Tommys Zeit kam nicht. Er ging nach genau siebenundsiebzig Sekunden Kampfzeit zu Boden. Lord Bramsey rückte den Knoten seiner Krawatte zurecht und öffnete dann das Jackett, um das Oberhemd, das sich etwas in die Höhe geschoben hatte, in die Hose zurück zu stopfen. Er blickte die Blondine an, die ihm aus weit aufgerissenen Augen ins Gesicht starrte, und bat mit sanfter, zuvorkommender Stimme: „Würden Sie wohl bitte die Güte haben, einen Augenblick beiseite zu schauen? Ich bin gezwungen, meine Kleidung ein wenig zu arrangieren!"
„Schließ die Tür, Mädchen!" knurrte Haggart.
Die Blondine gehorchte.
„Sie haben eine nette Art und Weise, sich Eintritt zu verschaffen!" grollte Haggart.
„Ihre Art, einen Besucher abzuweisen, ist nicht weniger originell", konterte Lord Bramsey.
Haggart schaute kopfschüttelnd auf seinen Leibwächter, der reglos am Boden lag. „Sie hatten Glück . . . Tommy muß einen schlechten Tag erwischt haben. Im allgemeinen ist ihm keiner gewachsen!"
„War er bislang dieser törichten Überzeugung? Dann ist es gut, daß er meine Bekanntschaft machen konnte."
„Sie bilden sich wohl eine Menge ein, was?"
„Durchaus nicht, aber ich finde, daß jeder, der sich für unbesiegbar hält, früher oder später eine Lektion erhalten sollte, die dazu dient, verzerrte Maßstäbe geradezurücken."
„Warum sind Sie gekommen?"
„Das erzähle ich Ihnen gleich. Ich finde, wir sollten uns zunächst um Ihren zornigen jungen Mann kümmern."
„Lassen Sie ihn nur liegen und ausruhen", meinte Haggart. „Der kommt schon wieder zu sich!"
„Wie Sie wollen", sagte Lord Bramsey schulterzuckend und näherte sich dem Schreibtisch. „Sie wissen vermutlich, warum ich gekommen bin?"
„Keine Ahnung!" behauptete Haggart.
„Für wie dumm halten Sie mich?"
„Bitte?"
„Ich fragte, für wie dumm Sie mich halten. Als Ihnen das Mädchen in der Anmeldung meinen Namen nannte, lehnten Sie es ab, mit mir* zu sprechen. Das beweist, daß Sie mich kennen."
„Sie haben fürwahr eine recht merkwürdige Art der Beweisführung!"
„Finden Sie? Ich bilde mir nichts auf meinen Titel ein, Mr. Haggart, aber ich weiß sehr wohl, daß er eine geradezu magische Kraft besitzt, wenn es darum geht, die Türen zu öffnen. Sie sind der erste, der auf Anhieb brüsk ablehnte, mit mir zu sprechen. Das läßt nur einen Schluß zu: Sie haben Ursache, diese Unterredung zu fürchten!"
Haggart ließ sich in den Drehstuhl gleiten und blickte zu Lord Bramsey in die Höhe. „Sie haben eine seltsame Auffassung von mir gewonnen, eine Auffassung, die in keinem Verhältnis zu den Tatsachen steht", erklärte er mit seiner schleppenden Stimme. „Jimmy ist kein Mann, der sich fürchtet. Wenn ich das jemals in meinem Leben getan hätte, säße ich heute nicht in diesem Büro und auf diesem
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