Der Schutzengel
ändern, denn die Natur verhindert Reisen in die Vergangenheit, durch die du Zeitreiseparadoxe auslösen könntest. Aber die Zeitmaschine ist nicht hier entdeckt oder wiederentdeckt worden. Die Zeitreisenden des Jahres 1944 aus dem Berliner Institut können offenbar ihre Zukunft verändern, und obwohl sie damit auch deine Vergangenheit verändern, gibt es kein Naturgesetz, das sie daran hindern könnte. Das ist das größte Paradox überhaupt – und zugleich das einzige, das die Natur aus irgendeinem Grund zu gestatten scheint.«
»Soll das heißen«, fragte Laura, »daß sie mit den Informationen aus dem Jahre 1985 noch immer Atomwaffen bauen und den Krieg gewinnen können?«
»Ja – es sei denn, das Institut würde zuvor zerstört werden.«
»Und was dann? Um uns herum wäre plötzlich alles anders, weil wir unter dem Nationalsozialismus leben würden?«
»Ja. Aber du würdest nichts von dieser Veränderung merken, weil du ein völlig anderer Mensch wärst als jetzt. Deine gesamte Vergangenheit hätte es nie gegeben. Du hättest eine völlig andere Vergangenheit und würdest dich an nichts aus diesem Leben erinnern, weil es niemals existiert hätte. Du würdest glauben, die Welt sei schon immer so gewesen, und könntest dir keine vorstellen, in der Hitler den Krieg verloren hat.«
Die aufgezeigten Möglichkeiten erschreckten und ängstigten Laura, weil sie das Leben noch unsicherer erscheinen ließen, als es ihr schon immer vorgekommen war. Die Erde unter ihren Füßen erschien ihr plötzlich nur noch als eine Traumwelt, die sich ohne Vorwarnung auflösen und sie in ein riesiges schwarzes Nichts stürzen lassen konnte.
»Wenn sie die Welt ändern könnten, in der ich aufgewachsen bin«, sagte sie mit zunehmendem Entsetzen, »wäre ich Danny vielleicht nie begegnet, hätte ihn nie geheiratet.«
»Und ich wäre vielleicht nie geboren worden«, fügte Chris hinzu.
Sie legte Chris eine Hand auf den Arm – nicht nur, um ihn zu beruhigen, sondern um sich auch zu vergewissern, daß er in dieser Welt wirklich existierte. »Vielleicht wäre auch ich nie geboren worden. Was ich bisher erlebt habe, das Gute und Schlechte der Welt seit 1944 … alles würde wie eine riesige Sandburg weggeschwemmt und durch eine neue Realität ersetzt werden.«
»Durch eine neue und schlimmere Realität«, sagte Stefan, den die notwendigen langen Erklärungen sichtlich angestrengt hatten.
»In dieser neuen Welt hätte ich meine Romane vielleicht nie geschrieben.«
»Und wenn du sie geschrieben hättest«, ergänzte Stefan, »wären sie anders als deine jetzigen: groteske Werke einer in einer Diktatur und unter der eisernen Faust der Nazi-Zensur arbeitenden Schriftstellerin.«
»Wenn diese Kerle 1944 die Atombombe bauen«, warf Chris ein, »zerfallen wir alle zu Staub und werden weggeblasen.«
»Nicht buchstäblich – aber wie Staub, ja«, bestätigte Stefan Krieger. »Spurlos verschwunden, als hättet ihr nie existiert.«
»Wir müssen sie stoppen!« sagte Chris.
»Wenn wir können«, stimmte Stefan zu. »Aber zuerst müssen wir in dieser Realität am Leben bleiben, was vielleicht gar nicht einfach sein wird.«
Stefan mußte auf die Toilette, und Laura half ihm mit der nüchternen Selbstverständlichkeit einer im Umgang mit Patienten erfahrenen Krankenschwester ins Bad ihres Motelzimmers. Als sie ihn endlich wieder im Bett hatte, machte sie sich erneut Sorgen um Stefan: Trotz seines immer noch kräftigen Körperbaus fühlte er sich schlaff und feuchtkalt an und war erschrekkend schwach.
Sie berichtete ihm kurz von der Schießerei hinter Brenkshaws Haus, während der er im Koma gelegen hatte. »Woher wissen diese Killer, wo wir zu finden sind, wenn sie aus der Vergangenheit statt aus der Zukunft kommen? Wie konnten sie 1944 wissen, wann wir fünfundvierzig Jahre später bei Doktor Brenkshaw aufkreuzen würden?«
»Um dich zu finden, haben sie zwei Reisen gemacht«, erklärte Stefan ihr. »Als erstes sind sie ein paar Tage weiter in die Zukunft gereist – vielleicht zum kommenden Wochenende –, um zu sehen, ob du irgendwo auftauchen würdest. Falls nicht – und du scheinst nicht aufgetaucht zu sein –, haben sie angefangen, öffentlich zugängliche Quellen auszuwerten. Vor allem Zeitungen. Sie haben die Meldungen über eine Schießerei in deinem Haus gelesen und sind dann darüber informiert worden, daß du mit einem Verletzten bei Doktor Brenkshaw in San Bernardino aufgekreuzt bist. Deshalb sind sie einfach ins Jahr
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