Der Schutzengel
rasch schwächer und hatte sichtlich Mühe, bei seiner Schilderung nicht den Faden zu verlieren. Laura wollte ihn nicht durch Zwischenfragen verwirren.
»Kokoschka dürfte mein letztes Ziel – gestern abend, dein Haus – mit Hilfe der automatisch registrierten Einstellwerte des Programmierpults ermittelt haben«, berichtete Stefan weiter. »Eigentlich hatte ich, wie versprochen, in der Nacht des Tages zurückkehren wollen, an dem Danny erschossen worden war; statt dessen bin ich ein Jahr später zurückgekommen, weil ich bei der Eingabe der errechneten Werte irgendeinen Fehler gemacht habe. Nachdem ich verletzt in die Zukunft geflüchtet war, muß Heinrich Kokoschka meine Berechnungen gefunden haben. Er muß meinen Fehler erkannt und gewußt haben, wo ich nicht nur gestern abend, sondern auch in der Nacht, in der Danny ermordet worden ist, zu finden sein würde. Als ich letztes Jahr versuchte, dich vor dem schleudernden Kleinlaster zu retten, habe ich in gewisser Beziehung Dannys Mörder mitgebracht. Dafür fühle ich mich verantwortlich, obwohl Danny diesen Unfall ohnehin nicht überlebt hätte. Wenigstens sind Chris und du am Leben geblieben. Zumindest fürs erste.«
»Weshalb hat Kokoschka dich nicht ins Jahr 1989 verfolgt – zum Beispiel letzte Nacht zu meinem Haus? Er hat gewußt, daß du als Verletzter eine leichte Beute sein würdest.«
»Er hat aber auch gewußt, daß ich erwarten würde, von ihm verfolgt zu werden, und befürchten müssen, ich sei bewaffnet und auf sein Kommen vorbereitet. Deshalb ist er für mich unerwartet ins Jahr 1988 gereist, um das Überraschungsmoment für sich zu nutzen. Außerdem hat Kokoschka vermutlich gehofft, daß ich nicht würde ins Institut zurückkehren und Pedowski erschießen können, wenn er mich ins Jahr 1988 verfolgte und dort erschoß. Bestimmt glaubte er, die Zeit durch einen Trick zu überlisten, diese Morde ungeschehen machen und dadurch den Projektleiter retten zu können. Aber das konnte er natürlich nicht, weil er dadurch seine eigene Vergangenheit verändert hätte, was unmöglich ist. Penlowski und die anderen waren inzwischen bereits tot und würden es bleiben. Hätte Kokoschka die für Zeitreisen gültigen Gesetzmäßigkeiten besser begriffen, dann hätte er gewußt, daß sein Anschlag im Jahre 1988, zumindest was meine Person betraf, gescheitert sein mußte, denn als er diese Reise unternahm, war ich bereits unversehrt aus den San Bernardino Mountains ins Institut zurückgekehrt!«
»Alles in Ordnung, Mom?« erkundigte Chris sich besorgt.
»Gibt’s Excedrin auch in Einpfundtabletten?« fragte sie.
»Ich weiß, daß das ein bißchen viel auf einmal ist«, bestätigte Stefan. »Aber du wolltest wissen, wer Heinrich Kokoschka ist – oder gewesen ist. Er hat die von mir angebrachten Sprengladungen entschärft. Seinetwegen – und wegen des unglückseligen Stromausfalls, der den Zeitzünder lahmgelegt hat – steht das Institut noch, ist das Tor weiterhin offen und versuchen Gestapoleute jetzt, uns in dieser Zeit aufzuspüren … und zu liquidieren.«
»Warum?« fragte Laura.
»Aus Rache«, sagte Chris.
»Sie reisen fünfundvierzig Jahre weit in die Zukunft, nur um uns aus Rache zu ermorden?« Laura schüttelte den Kopf. »Dahinter muß mehr stecken.«
»Richtig«, bestätigte Stefan. »Sie wollen uns ausschalten, weil sie uns für die einzigen Menschen halten, denen zuzutrauen ist, daß sie eine Möglichkeit finden, das Tor zu schließen, bevor sie den Krieg gewinnen und damit ihre Zukunft verändern. Und mit dieser Annahme haben sie recht.«
»Wie?« fragte sie erstaunt. »Wie können wir das Institut vor fünfundvierzig Jahren zerstören?«
»Das weiß ich noch nicht«, gab Stefan zu. »Aber ich werde darüber nachdenken.«
Sie wollte ihm weitere Fragen stellen, aber Stefan schüttelte den Kopf. Er sei zu erschöpft, um weiterzureden, sagte er und schlief wenig später wieder ein.
Aus seinen Einkäufen im Supermarkt nahm Chris ein verspätetes Mittagessen, bestehend aus Weißbrot mit Erdnußbutter, ein. Laura hatte keinen Appetit.
Da abzusehen war, daß Stefan ein paar Stunden lang schlafen würde, ging sie unter die Dusche. Danach fühlte sie sich erheblich wohler, auch wenn sie keine Kleidungsstücke zum Wechseln hatte.
Das Fernsehprogramm blieb den ganzen Nachmittag unerbittlich idiotisch: Seifenopern, Quizshows, weitere Melodramen, Wiederholungen alter Serien und Phil Donahue, der durchs Studio hastete und seine Gäste aufforderte,
Weitere Kostenlose Bücher