Der Schutzengel
Reichs gehabt, und da sie fürchten mußten, ihre Beteiligung an den Morden vom 15. werde bald aufgedeckt werden, sind sie in die Zukunft geflohen, um sich in einer anderen Ära zu verstecken.«
Stefan machte eine Pause, um das bisher Gesagte einwirken zu lassen.
Während die Detonationen über ihnen abnahmen, als wäre der Bomberstrom versiegt, starrte Hitler seinen Besucher prüfend an. Sein Blick war ebenso direkt wie der Winston Churchills, aber aus ihm sprach nichts von der klaren, geradlinigen Einschätzung von Mann zu Mann. Statt dessen betrachtete Hitler Stefan aus der Perspektive des selbsternannten Gottes, eines bösartigen Gottes, der nicht seine Geschöpfe liebte, sondern nur deren Gehorsam.
»Gut, nehmen wir einmal an, es gäbe im Institut Verräter«, meinte Hitler schließlich. »Welche Absichten hätten sie?«
»Sie zu täuschen, mein Führer«, antwortete Stefan sofort. »In der Hoffnung, Sie dadurch zu militärischen Fehlentscheidungen provozieren zu können, legen sie Ihnen falsche Informationen aus die Zukunft vor. Sie haben Ihnen weiszumachen versucht, praktisch alle in den letzten eineinhalb Kriegsjahren von Ihnen getroffenen Entscheidungen würden sich als Fehler erweisen – aber das stimmt nicht! Nach dem jetzigen Stand der Dinge verlieren Sie den Krieg nur äußerst knapp. Schon geringfügige Abänderungen Ihrer Strategie könnten Ihnen den Sieg bringen!«
Hitler kniff die Augen zusammen, seine Miene verfinsterte sich – nicht aus Mißtrauen gegenüber Stefan, sondern weil er plötzlich allen im Institut mißtraute, die ihm verklausuliert mitgeteilt hatten, er werde in den kommenden Monaten fatale militärische Fehlentscheidungen treffen. Stefan ermutigte ihn, wieder an seine Unfehlbarkeit zu glauben, und der Verrückte war nur allzu gerne bereit, sich erneut auf sein vermeintliches Feldherrentalent zu verlassen.
»Mit geringfügigen Abänderungen meiner Strategie?« erkundigte Hitler sich. »Und woraus könnten diese bestehen?«
Stefan zählte rasch sechs Punkte auf, die seiner Meinung nach einige der wichtigsten zukünftigen Schlachten entscheiden würden; in Wahrheit aber würden gerade diese den Ausgang des Krieges nicht beeinflussen – die Schlachten, von denen er sprach, gehörten nicht zu den Entscheidungsschlachten der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs.
Hitler, der jedoch hören wollte, daß er beinahe gesiegt hätte, statt der sichere Verlierer zu sein, akzeptierte Stefans Ratschläge jetzt als die reine Wahrheit, weil sie kühne taktische Entscheidungen voraussetzten, die sich nur wenig von denen unterschieden, die der Diktator selbst treffen würde. Jetzt stand er auf und ging erregt in dem kleinen Bunkerraum auf und ab. »Schon bei den ersten mir vom Institut vorgelegten Berichten habe ich geahnt, daß sie die Zukunft irgendwie nicht richtig darstellten. Ich fühlte, daß es nicht sein konnte, daß ich diesen Krieg so lange so brillant führte – um dann plötzlich einen Mißerfolg nach dem anderen zu ernten. Gewiß, wir stecken gegenwärtig in einer Krise, aber auch die geht vorüber. Die langerwartete Invasion der Anglo-Amerikaner wird fehlschlagen; wir werden sie ins Meer zurückwerfen.« Er sprach beinahe flüsternd, aber mit der aus seinen vielen öffentlichen Reden wohlvertrauten hypnotischen Leidenschaftlichkeit. »Nach diesem fehlgeschlagenen Frontalangriff werden sie den größten Teil ihrer Reserven verbraucht haben; sie werden auf breiter Front zurückweichen müssen und viele Monate lang zu keinem neuen Invasionsversuch imstande sein. Bis dahin bauen wir unsere Herrschaft in Europa aus, schlagen die russischen Barbaren und sind dann stärker denn je zuvor!« Er blieb stehen, blinzelte, als wäre er aus einer selbst hervorgerufenen Trance erwacht, und fragte: »Ja, was ist mit der Invasion der Westalliierten? Mit ihrem D-Day, wie sie ihn nennen werden? Nach Berichten des Instituts sollen die Anglo-Amerikaner in der Normandie landen.«
»Lügen!« behauptete Stefan. Jetzt waren sie bei dem Thema, das der eigentliche Zweck seines Besuchs in dieser Märznacht im Führerbunker war. Aus dem Institut hatte Hitler erfahren, daß die Invasion in der Normandie stattfinden würde. In der vom Schicksal vorausbestimmten Zukunft würde Hitler die Absichten der Alliierten falsch einschätzen und anderswo Vorbereitungen zur Abwehr der Invasion treffen, so daß die Normandie ungenügend verteidigt wurde. Stefan mußte ihn ermutigen, auf dieser seiner Strategie zu
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