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Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Sie nahm ihren Toilettenbeutel vom Nachttisch, schlurfte hinaus, schloß die Tür hinter sich und machte  sich auf den Weg zu einem der Bäder am Ende des Flurs.
    »Sie nimmt seine Süßigkeiten«, erläuterte Ruth Laura.
    Abscheu durchflutete Laura wie eine eisige Wolke. »Nein!«
    »Doch«, sagte Thelma, »aber nicht, weil sie Süßigkeiten mag. Sie ist … verkorkst. Sie braucht die Anerkennung des Aals.«
    »Aber warum nur?« fragte Laura.
    Ruth und Thelma wechselten einen weiteren ihrer Blicke, durch die sie strittige Punkte wortlos zu diskutieren und binnen weniger Sekunden eine Entscheidung zu fällen schienen. »Nun, weißt du«, antwortete Ruth seufzend, »Thelma mag diese Art Anerkennung, weil … weil ihr Vater ihr beigebracht hat, sie zu mögen.«
    Laura war entsetzt. »Ihr eigener Vater? «
    »Nicht alle Kinder im McIllroy Home sind Waisen«, erklärte Thelma. »Manche sind hier, weil ihre Eltern Straftaten verübt haben und im Gefängnis sitzen. Und andere sind von Angehörigen mißhandelt oder … sexuell mißbraucht worden.«
    Die durch die offenen Fenster hereinströmende Nachtluft war vielleicht ein, zwei Grad kühler als vorhin, als die drei Mädchen sich auf den Teppich gesetzt hatten, aber sie erschien Laura wie ein kalter Herbstwind, der auf rätselhafte Weise Raum und Zeit überwunden hatte und in diese Augustnacht vorgestoßen war.
    »Aber Tammy mag das doch nicht wirklich?« fragte Laura.
    »Nein, das glaube ich nicht«, sagte Ruth. »Aber für sie ist das …«
    »… zwanghaft«, warf Thelma ein. »Sie kann nicht anders. Mit einem Wort: verkorkst.«
    Die drei schwiegen und dachten das Undenkbare, bis Laura schließlich sagte: »Seltsam und … so traurig. Können wir nichts dagegen unternehmen? Könnten wir nicht Mrs. Bowmaine oder eine der anderen Sozialarbeiterinnen über Sheener aufklären?«
    »Das wäre zwecklos«, wehrte Thelma ab. »Der Aal würde alles leugnen, und Tammy würde es ebenfalls abstreiten. Und wir haben keinerlei Beweise.«
    »Aber wenn sie nicht das einzige Mädchen ist, das er mißbraucht hat, könnte doch eine der anderen …«
    Ruth schüttelte den Kopf. »Die meisten leben inzwischen bei Pflege- oder Adoptiveltern oder sind wieder zu Hause. Die zwei oder drei, die noch da sind … nun, die sind entweder wie Tammy, oder sie haben schreckliche Angst vor dem Aal – zuviel Angst, um ihn zu verpetzen.«
    »Außerdem«, sagte Thelma, »wollen die Erwachsenen nichts davon wissen, wollen sich nicht damit befassen müssen. Das Heim könnte in die Schlagzeilen geraten. Sie müßten sich fragen lassen, wie das alles vor ihrer Nase passieren konnte. Und seit wann kann man außerdem Kindern glauben?« Thelma imitierte Mrs. Bowmaine und traf ihren heuchlerischen Tonfall so genau, daß Laura sofort wußte, wer gemeint war. »Oh, meine Liebe, diese abscheulichen, lügenhaften kleinen Bestien! Aufsässige, boshafte, lästige kleine Teufel, die imstande wären, Mr. Sheeners ausgezeichneten Ruf nur so aus Spaß zu ruinieren. Wenn man sie nur ruhigstellen, an Wandhaken hängen und intravenös ernähren könnte, dann wäre unser System weit effektiver, meine Liebe – und für sie selbst wär’s auch viel besser.«
    »Dann würde der Aal von allen Vorwürfen reingewaschen«, stellte Ruth fest. »Er käme hierher zurück und würde Mittel und Wege finden, sich an uns zu rächen, weil wir ihn verpetzt haben. So ähnlich ist’s bei dem anderen Schwein gewesen, das früher hier gearbeitet hat – ein Kerl, den wir Frettchen Fogel genannt haben. Der arme Denny Jenkins …«
    »Denny Jenkins hat Frettchen Fogel verpetzt: Er beschwerte sich bei Bowmaine, Fogel habe ihn und zwei andere Jungen belästigt. Das Frettchen ist suspendiert worden. Aber die beiden anderen bestätigten Dennys Aussage nicht. Sie hatten Angst vor Fogel … waren auch von seiner perversen Anerkennung abhängig. Als Bowmaine und ihr Mitarbeiter Denny verhörten …«
    »Sie haben ihn in die Mangel genommen!« unterbrach Ruth sie aufgebracht. »Sie haben ihm Fangfragen gestellt, um ihn reinzulegen. Er ist so durcheinander gewesen, daß er sich in Widersprüche verwickelt hat – daraufhin haben sie behauptet, er habe sich alles nur ausgedacht.«
    »Und Fogel ist ins Heim zurückgekommen«, sagte Thelma.
    »Der hat auf seine Chance gewartet«, fuhr Ruth fort, »und Denny dann das Leben zur Hölle gemacht. Er hat den Jungen erbarmungslos gequält, bis … Denny eines Tages zu kreischen begonnen hat und nicht wieder

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