Der Schutzengel
war, daß sie sein Gesicht sehen konnte – und ihn vielleicht erkannte –, gehorchte sie sofort.
Als sie ruckartig beschleunigte, an ihm vorbeiröhrte und den Blazer nur fünf, sechs Meter unterhalb von Stefans Jeep an einer Stelle zum Stehen brachte, wo das Bankett etwas breiter war, kehrte er um, lief zurück und riß die Tür auf. »Ich weiß nicht, ob’s genügt, nicht auf der Fahrbahn zu sein. Steigt aus, klettert den Hang hinauf, beeilt euch, los! «
»He, Augenblick mal …«, begann Danny.
»Tu, was er sagt!« rief Laura. »Schnell, Chris, raus mit dir!«
Stefan packte Lauras Hand und zerrte sie halb vom Fahrersitz. Während Danny und Chris sich beeilten, aus dem Blazer zu springen, hörte Stefan das Brummen eines schwer arbeitenden Motors, das den heulenden Wind übertönte. Er blickte die lange Steigung hinauf und beobachtete einen Kleinlaster, der über den Hügel gekommen war und jetzt bergab auf sie zurollte. Stefan zog Laura hinter sich her um den Kühler des Blazers herum.
»Los, weg von der Straße!« drängte ihr Beschützer und machte sich daran, den zusammengepreßten, mit einer Eisschicht bedeckten Schneewall zu erklettern, den Schneepflüge aufgetürmt hatten und der zu den ersten Bäumen hin steil abfiel.
Laura blickte die Steigung hinauf und sah den Kleinlaster, der noch einige hundert Meter von ihnen entfernt war, wie in Zeitlupe ins Schleudern geraten, bis er fast querstand. Hätte ihr Beschützer sie nicht aufgehalten, wären sie dem schleudernden Lastwagen genau dort begegnet und bereits von ihm gerammt worden.
Danny, der neben ihr stand und Chris auf dem Rücken hatte, erfaßte sofort die Gefahr, in der sie noch immer schwebten. Der außer Kontrolle geratene Lastwagen konnte die ganze Gefällestrecke hinunter und in ihre am Straßenrand abgestellten Fahrzeuge rasen. Danny packte Chris fester, arbeitete sich den Schneewall hoch und rief Laura zu, sie solle sich bewegen .
Sie begann hastig zu klettern, suchte Griffe und trat mit den Stiefeln Trittlöcher. Der Schneewall war nicht nur verharscht, sondern auch mit Eisbrocken durchsetzt, und an einigen Stellen lösten sich große Brocken, und Laura wäre beinahe rückwärts aufs Bankett gestürzt. Als sie dann mit ihrem Beschützer, Danny und Chris fünf Meter über der Straße auf einem schmalen, aber fast schneefreien Felsband in der Nähe der Bäume stand, hatte sie das Gefühl, ewig geklettert zu sein. Tatsächlich mußte die Angst ihr Zeitgefühl beeinträchtigt haben, denn als sie wieder auf die Straße blickte, sah sie, daß der Lastwagen noch immer auf sie zuschleuderte. Er war noch zehn Wagen-längen von ihnen entfernt, hatte sich einmal um seine Achse gedreht und kam wieder mit der Längsseite auf sie zu.
Im Schneetreiben schien das Fahrzeug sich wie in Zeitlupe zu bewegen: das Schicksal in Form einiger Tonnen Stahl. Auf seiner Ladefläche stand ein Schneemobil, das weder mit Ketten noch Gurten gesichert war; offenbar hatte der Fahrer leichtsinnigerweise darauf vertraut, daß es durch sein Gewicht stehenbleiben würde. Jetzt stieß das Schneemobil heftig gegen die Bordwände und die Rückwand des Fahrerhauses und brachte den schleudernden Kleinlaster so heftig ins Schwanken, daßein Überschlagen wahrscheinlicher erschien als das erneute Kreiseln, das er jetzt vollführte.
Laura sah den Fahrer vergeblich mit dem Lenkrad kämpfen, sah die Frau neben ihm die Hände vors Gesicht schlagen und dachte: Mein Gott, diese armen Menschen!
Als habe ihr Beschützer ihre Gedanken erraten, rief er laut, um das Heulen des Windes zu übertönen: »Beide betrunken, keine Schneeketten!«
Wenn du soviel über sie weißt, dachte Laura, mußt du auch wissen, wer sie sind – warum hast du sie dann nicht angehalten, weshalb hast du nicht auch sie gerettet?
Mit schrecklichem Krachen bohrte der Kühler des Kleinlasters sich in die Flanke des Jeeps, und die Beifahrerin, die ihren Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, wurde zur Hälfte durch die Windschutzscheibe geschleudert und blieb, halb aus dem Wagen hängend, liegen …
»Chris!« kreischte Laura. Aber dann sah sie, daß Danny den Jungen bereits abgesetzt hatte und ihn an sich gedrückt hielt, um zu verhindern, daß der Junge Augenzeuge des Unfalls wurde.
… Auch dieser Aufprall brachte den Lastwagen nicht zum Stehen; seine Bewegungsenergie war zu hoch, die Reifen ohne Ketten fanden auf der Schneedecke keinen Halt, doch änderte sich nun die Bewegungsrichtung des Lastwagens, dessen
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