Der Schwarm
»Alles, was noch übrig ist, in die Tanks.«
Johanson sah aufs Wasser. Immer noch stiegen brodelnd und stinkend Blasen aus dem Meer. Allmählich wurden es weniger. Die Sonne gewann rasch Abstand. Die letzten Brocken des hochgeschwemmten Methaneises trieben auf den Wellen und zerfielen.
Quietschend öffnete der Greifer sein Maul und entließ zentnerweise Eis und Schlamm. Bohrmanns Laborleute und die Matrosen hasteten umher und versuchten, so viel Hydrat wie möglich im flüssigen Stickstoff zu versenken. Es dampfte und zischte. Johanson kam sich schrecklich nutzlos vor. Er drehte sich weg, ging hinüber zu Bohrmann und half ihm, die Brocken einzusammeln. Das Deck war übersät mit kleinen, borstigen Körpern. Einige zuckten und wanden sich und stülpten ihre Rüssel mit den Kiefern hervor. Die meisten schienen den raschenAufstieg nicht überlebt zu haben. Der plötzliche Wechsel von Temperatur und Umgebungsdruck hatte sie getötet.
Johanson hob einen der Brocken auf und betrachtete ihn genauer. Das Eis war von Kanälen durchzogen. Leblose Würmer hingen darin. Er wendete den Brocken hin und her, bis ihn das Knistern und Knacken der zerfallenden Masse daran erinnerte, sie schnellstmöglich unter Verschluss zu bringen. Andere Brocken waren noch stärker durchlöchert, doch richtig begonnen hatte die Zersetzung offenbar erst unterhalb der Wurmkanäle. Kraterartige Zerstörungen klafften im Eis, teilweise bedeckt von schleimigen Fäden.
Was war damit geschehen?
Johanson vergaß die Kühlbehälter. Er zerrieb den Schleim zwischen den Fingern. Das Zeug sah aus wie Reste von Bakterienkolonien. Man fand Bakterienmatten auf der Oberfläche von Hydraten, aber was taten sie so tief im Innern der Eisklumpen?
Sekunden später hatte sich der Brocken zersetzt. Er sah sich um. Das Heck war zu einer schlammigen Pfütze geworden. Der Mann, den der Greifer erwischt hatte, war verschwunden. Auch Lund, Hvistendahl und Stone hatten das Deck verlassen. Johanson sah Bohrmann ein Stück weiter an der Reling lehnen und ging zu ihm hinüber.
»Was ist da eben passiert?«
Bohrmann fuhr sich über die Augen. »Wir hatten einen Blowout. Das ist passiert. Der Greifer ist über zwanzig Meter tief eingebrochen. Von unten kam freies Gas hoch. Haben Sie die riesige Blase auf dem Schirm gesehen?«
»Ja. Wie dick ist das Eis an dieser Stelle?«
»War, muss man wohl sagen. Siebzig bis achtzig Meter. Mindestens.«
»Dann muss da unten alles in Trümmern liegen.«
»Offensichtlich. Wir sollten schleunigst herausfinden, ob das ein Einzelfall war.«
»Sie wollen weitere Proben entnehmen?«
»Natürlich«, knurrte Bohrmann. »Der Unglücksfall vorhin hätte nicht passieren dürfen. Der Mann an der Winde hat den Greifer weiterhin eingeholt, bei voller Fahrt. Er hätte die Winde stoppen müssen.« Er sah Johanson an. »Ist Ihnen was aufgefallen, als das Gas hochkam?«
»Ich hatte den Eindruck, dass wir wegsackten.«
»Schien mir auch so. Das Gas hat die Oberflächenspannung des Wassers herabgesetzt.«
»Sie meinen, wir hätten sinken können?«
»Schwer zu sagen. Schon mal was vom Hexenloch gehört?«
»Nein.«
»Vor zehn Jahren fuhr mal einer hinaus und kehrte nicht zurück. Das Letzte, was man über Funk von ihm hörte, war, dass er sich einen Kaffee kochen wollte. Kürzlich hat ein Forschungsschiff das Wrack gefunden. 50 Seemeilen vor der Küste in einer ungewöhnlich tiefen Senke im Nordseeboden. Die Seeleute nennen die Gegend Hexenloch. Das Wrack weist keinerlei Schäden auf, und es liegt aufrecht auf dem Grund. Als sei es wie ein Stein gesunken – wie etwas, das nicht schwimmen kann.«
»Klingt nach Bermuda-Dreieck.«
»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Genau das ist die Hypothese. Die einzige, die einer näheren Prüfung standhält. Zwischen den Bermudas, Florida und Puerto Rico gibt es immer wieder heftige Blowouts. Wenn das Gas in die Atmosphäre aufsteigt, kann es sogar Flugzeugturbinen entzünden. Ein Methanblowout, um ein Vielfaches größer, als wir ihn eben hatten, und das Wasser wird so dünn, dass Sie einfach wegsacken.« Bohrmann deutete auf die Kühlbehälter. »Wir schicken das Zeug schnellstmöglich nach Kiel. Wir werden es analysieren, und danach werden wir definitiv wissen, was da unten los ist. Und wir werden es herausfinden, das verspreche ich Ihnen. Wir haben einen Mann verloren wegen dieser ganzen Scheiße.«
»Ist er ... ?« Johanson sah zu den Aufbauten des Hauptdecks hinüber.
»Er war sofort
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