Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
glücklichen Menschen?
    Weil nichts die Impression zerstören konnte.
    Natürlich konnte ein Bild vernichtet werden. Aber solange es existierte, war der in Öl gebannte Augenblick endgültig. Die Sonnenblumen würden nie verwelken. Auf die Zugbrücke von Langlois bei Arles würden keine Bomben fallen. Nichts konnte das gemalte Motiv seiner Verbindlichkeit berauben, auch wenn man es überpinselte. Das Original darunter blieb erhalten. Was schrecklich war, blieb schrecklich, was schön war, würde seine Schönheit nie verlieren. Selbst dem Porträt des Mannes mit den scharfen Gesichtszügen und dem weißen Verband über dem Ohr, der den Betrachter aus tief liegenden Augen ansah, war etwas wohltuend Verlässliches zu Eigen, weil er zumindest im Bild nicht noch unglücklicher werden konnte, weil er nicht einmal alternkonnte. Er verkörperte den ewigen Augenblick. Er hatte gesiegt. Am Ende hatte er über die Schinder und Ignoranten triumphiert, er hatte sie kraft seines Pinsels und seines Genies einfach ausgetrickst.
    Johanson betrachtete sein Haus.
    Warum kann es nicht einfach so bleiben, dachte er. Wenn es doch ein Bild wäre, und ich mit in dem Bild.
    Aber er lebte nicht in einem Bild und nicht in einer Galerie, in der sich die Schauplätze seines Lebens abschreiten ließen. Das Haus am See, es hätte ein weiteres wunderbares Bild abgegeben, daneben ein Porträt von seiner geschiedenen Frau und weitere von den Frauen, die er gekannt hatte, und welche von seinen Freunden und natürlich eines von Tina Lund. Gerne auch Arm in Arm mit Kare Sverdrup. Ja, warum nicht? Ein Bild, in dem Tina zur Ruhe kam, für alle Zeiten. Er hätte ihr Ruhe und Seelenfrieden gegönnt.
    Mit einem Mal befiel ihn dumpfe Verlustangst.
    Da draußen verändert sich die Welt, dachte er. Sie schließt sich gegen uns zusammen. An einem geheimen Ort ist etwas vereinbart worden, und wir waren nicht dabei. Die Menschen waren nicht dabei.
    Ein so schönes Haus. So friedlich.
    Er ließ den Motor an und fuhr los.
     
     
    Kiel, Deutschland
    Erwin Suess betrat, Yvonne Mirbach im Gefolge, Bohrmanns Büro.
    »Ruf diesen Johanson an«, sagte er. »Sofort.«
    Bohrmann hob den Kopf. Er kannte den Geomar-Direktor lange genug, um zu sehen, dass etwas Außergewöhnliches passiert sein musste. Etwas, das Suess zutiefst bestürzte.
    »Was ist los?«, fragte er, obschon er es ahnte.
    Mirbach zog einen Stuhl heran und setzte sich.
    »Wir haben den Computer sämtliche Szenarien durchrechnen lassen. Der Kollaps wird eher erfolgen, als wir dachten.«
    Bohrmann runzelte die Stirn. »Letztes Mal waren wir nicht sicher, ob es überhaupt zu einem Kollaps kommen wird.«
    »Ich fürchte doch«, sagte Suess.
    »Die Bakterien-Konsortien?«
    »Ja.«
    Bohrmann lehnte sich zurück und fühlte, wie sich seine Stirn mit kaltem Schweiß bedeckte. Es kann nicht sein, dachte er. Das sind dochnur Bakterien, mikroskopisch kleine Lebewesen. Plötzlich begann er zu denken wie ein Kind. Wie kann etwas so Winziges einen Eisdeckel von über hundert Metern Dicke zerstören? Es geht nicht. Was soll eine Mikrobe ausrichten auf tausenden von Quadratkilometern Meeresboden? Gar nichts. Es ist nicht vorstellbar. Es ist nicht real. Es findet nicht statt. Sie wussten wenig über Konsortien. Fest stand, dass sich in der Tiefsee Mikroorganismen verschiedener Arten zu Symbiosen zusammenschlossen. Schwefelbakterien verbündeten sich mit Archäen, urtümlichen Einzellern, die zu den ältesten Lebensformen überhaupt gehörten. Die Symbiose war extrem erfolgreich. Vor wenigen Jahren erst hatte man die ersten Konsortien auf den Oberflächen von Methanhydraten aufgespürt. Die Schwefelbakterien verwerteten mit Hilfe von Sauerstoff, was sie von den Archäen erhielten, nämlich Wasserstoff, Kohlendioxid und verschiedene Kohlenwasserstoffe. Denn diese Stoffe schieden die Archäen aus, wenn sie sich an ihrer Leibspeise gütlich taten.
    An Methan.
    Gewissermaßen lebten damit auch die Schwefelbakterien vom Methan, nur dass sie selber nicht drankamen. Denn das meiste Methan lagerte im sauerstofffreien Sediment, und Schwefelbakterien konnten ohne Sauerstoff nicht leben. Aber Archäen konnten es. Sie waren in der Lage, Methan ohne Sauerstoff zu knacken, noch kilometertief unter der Erdoberfläche. Man schätzte, dass sie jährlich 300 Millionen Tonnen des marinen Methans umsetzten, möglicherweise zum Wohle des Weltklimas, denn aufgespaltenes Methan konnte nicht als Treibhausgas in die Atmosphäre entweichen. So gesehen

Weitere Kostenlose Bücher