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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Arecibo und SETI. Es war der Versuch, eine Katastrophe zu stoppen und die Menschheit zu retten.
    Der akademische Traum war zum Alptraum geworden.
     
     
    Freunde
    Anawak kletterte aus dem Schiffsinnern hoch in die Insel, durchquerte die schmalen Gänge und betrat das Flugdeck.
    Das Dach hatte sich im Verlauf der Reise zu einer Art Promenade entwickelt. Wer immer Zeit fand, sich die Beine zu vertreten, schlenderte dort herum, hing seinen Gedanken nach oder besprach sich mit anderen. So paradox es scheinen mochte, hatte sich ausgerechnet die Start- und Landefläche des größten Helikopterträgers der Welt zu einem Ort der Ruhe und des Ideenaustauschs entwickelt. Die sechs Su per-Stallions und zwei Super-Cobra-Kampfhubschrauber standen verloren in der asphaltierten Weite.
    Greywolf pflegte sein Exotendasein auch an Bord der Independence, wenngleich Delaware eine zunehmende Rolle darin spielte. Eher unspektakulär wuchsen die beiden zusammen. Delaware ließ ihm klugerweise seine Ruhe, was dazu führte, dass er es war, der ihre Gesellschaft suchte. Nach außen hin gaben sie sich als Freunde. Aber Anawak entging nicht, wie das Vertrauen auf beiden Seiten wuchs. Die Signale waren unverkennbar. Immer seltener assistierte Delaware nun ihm, sondern kümmerte sich zusammen mit Greywolf um die Pflege der Delphine.
    Anawak fand Greywolf an der Bugkante, wo er im Schneidersitz hockte, den Blick seewärts gewandt. Er setzte sich neben ihn und sah, dass Greywolf an etwas schnitzte.
    »Was ist das?«, fragte er.
    Greywolf reichte es ihm. Es war ziemlich groß und fast vollendet, ein kunstvoll gearbeitetes Stück Zedernholz. Eine Seite mündete in einem Griff. Der weit größere Teil zeigte ineinander verschlungene Figuren. Anawak erkannte zwei Tiere mit mächtigen Gebissen, einen Vogel und einen Menschen, der offenbar zum Spielball der Kreaturen wurde. Er strich mit den Fingern über das Material.
    »Schön«, sagte er.
    »Es ist eine Replik.« Greywolf grinste. »Ich mache nur Repliken. Für Originale fehlt mir das Blut.«
    »Das reine Blut der Indianer.« Anawak lächelte. »Verstehe schon.«
    »Du verstehst wie immer nicht.«
    »Schon gut. Was zeigt es?«
    »Das, was du siehst.«
    »Sei nicht so verdammt überheblich. Erklär's mir einfach oder lass es bleiben.«
    »Es ist eine Zeremonienkeule. Tla-o-qui-aht. Das Original ist aus Walknochen gemacht. Entstammt einer privaten Sammlung aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. Was du siehst, ist eine Geschichte aus der Zeit der Vorfahren. Ein Mann stieß eines Tages auf einen geheimnisvollen Käfig mit allen möglichen Kreaturen und nahm ihn mit in sein Dorf. Kurz darauf wurde er krank. Ein starkes Fieber packte ihn, gegen das niemand etwas tun konnte. Keiner wusste, was dazu geführt hatte, dass der Mann so krank war, aber dann träumte er selber den Grund. Er sah, dass die Kreaturen im Käfig schuld waren. In seinen Träumen griffen sie ihn an, weil sie nämlich nicht einfach Tiere waren, sondernTransformer, Gestaltwandler.« Greywolf zeigte auf ein gedrungenes Wesen, das zur Hälfte Säugetier und zur Hälfte Wal war. »Hier siehst du einen Wolf-Killerwal. Im Traum fiel er über den Mann her und packte ihn beim Kopf. Dann kam ein Donnervogel und versuchte den Mann zu retten. Du kannst sehen, wie er die Krallen in die Seiten des Wolf-Killerwals schlägt, aber während sie kämpften, erschien ein Bär-Killerwal, dem es gelang, die Füße des Kranken zu packen. Der Mann erwachte und erzählte seinem Sohn, was er geträumt hatte. Kurz darauf starb er. Der Sohn schnitzte diese Keule und erschlug damit 6000 Gestaltwandler, um den Tod seines Vaters zu rächen.«
    »Und was ist der tiefere Sinn?«
    »Muss alles einen tieferen Sinn haben?«
    »In diesem Fall wird es einen haben. Es ist der ewige Kampf, nicht wahr? Zwischen den Kräften des Guten und des Bösen.«
    »Nein.« Greywolf strich sich das Haar aus der Stirn. »Die Geschichte erzählt vom Leben und vom Sterben. Das ist alles. Am Ende stirbst du, so viel steht fest, und bis dahin ist es ein einziges Auf und Ab. Du selber bist machtlos. Du kannst dein Leben gut oder schlecht leben, aber was mit dir geschieht, bestimmen höhere Kräfte. Wenn du im Einklang mit der Natur lebst, wird sie dich heilen, stellst du dich gegen sie, wird sie dich vernichten, aber die wichtigste Erkenntnis ist, dass nicht du die Natur beherrschst, sondern sie dich.«
    »Der Sohn des Mannes scheint diese Erkenntnis nicht geteilt zu haben«, sagte Anawak.

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