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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Kadmon entstanden ist. Gezeugt werden muss er von jemandem, in dem ebenfalls die göttlichen Elemente des Guten und Bösen vereint sind, sich aber bereits zu trennen begonnen haben. Und dieser Mann bist du. Oder willst du das leugnen?« David Tebel lächelte und beugte sich vor. Über den Abgrund des Kreismittelpunktes sah er Hilarius an.
     
    Auch sie wussten von seinem Zwilling! »Hast du ihnen das gesagt?«, zischte er Federlin an.
     
    »Du hast vorhin gehört, dass sie mich nicht kennen. Also kann ich es ihnen nicht gesagt haben.«
     
    »Graf Albert! Graf Albert von Heilingen! Er steckt mit euch unter einer Decke!«
     
    »In der Tat haben wir von diesem Grafen gehört«, gestand Meisl. »Er ist böse und will immer nur das Böse, egal was er sagt. Jemand, der ihm nahesteht und zugleich unserer Sache dient, hat uns von dir berichtet. Und als wir diese fast unglaublichen Dinge hörten, waren wir sicher, den Vater des Messias gefunden zu haben. Es wurde uns versprochen, dass du zu uns kommst.«
     
    Hilarius schwirrte der Kopf. Welcher Kopf?
     
    Die Bauchschmerzen ließen langsam nach, aber nun war da etwas anderes. Fremde Gedanken. Anders konnte er es nicht bezeichnen. Was ihm da durch den Kopf schoss, waren nicht seine eigenen Gedanken. Doch er konnte sie nicht fassen; sie entzogen sich ihm. Zurück blieb eine schreckliche Angst.
     
    »Nein«, sagte Hilarius entsetzt. »Das ist alles zu verwirrend. Ich habe meinen Glauben – den wahren Glauben! Den könnt ihr mir nicht zerstören! Ich kenne den Teufel und die Dämonen und die Hexen und Zauberer – und ich kenne Gott!« Keine Minute länger wollte er in diesem seltsamen, kreisrunden Raum sitzen und den abscheulichen Juden und ihren wilden Lügenmärchen zuhören. Da kam ihm ein rettender Gedanke, wie er ihr sinnloses Gedankengebäude gleich einem Kartenhaus zusammenbrechen lassen konnte. Er stand auf und verkündete mit lauter Stimme: »Außerdem kann ich gar nicht der Vater eures blasphemischen Messias werden. Der Schrift nach muss der Messias aus dem Stamme David sein, also muss es ein Jude sein. Ich aber bin Christ!« Triumphierend schaute er in die Runde.
     
    Er hatte weder die Antwort erwartet, die darauf folgte, noch hatte er erwartet, dass sie von Federlin kommen würde. Der Gaukler sagte mit ruhiger Stimme: »Du bist Jude.«
     
    Es war, als öffne sich die Erde unter Hilarius. Das war das Abscheulichste, was er je gehört hatte! Welch eine Beleidigung! Zuerst konnte er keinen klaren Gedanken darauf fassen; es hatte ihm die Sprache verschlagen. Er griff nach hinten und hielt sich an der Lehne seines Stuhls fest. Dann sah er Federlin an und sagte: »Ich habe gewusst, dass du ein Geschöpf der Hölle bist! Du bist der Vater aller Lügen! Weiche von mir, Satan! Ich kann gar kein Jude sein. Weißt du denn nicht, dass Juden beschnitten sind? Ich bin es jedenfalls nicht!« Er wollte den Raum so schnell wie möglich verlassen. Die Tür befand sich ihm gegenüber. Er musste durch den Kreis gehen. Als er dessen Mitte erreicht hatte, hörte er hinter sich Federlins immer noch erschreckend beherrschte und ruhige Stimme: »Das stimmt; du bist nicht beschnitten; die Brit Mila konnte bei dir nicht durchgeführt werden. Aber trotzdem bist du Jude, denn dein Vater und deine Mutter waren Juden. Dein Vater leitete seine Herkunft vom Stamme Davids ab, deine Mutter die ihre hingegen vom Stamm Dan.«
     
    Hilarius schnellte herum. Wieder diese fremden Gedanken! Seine Eltern! Seine Eltern … Er hatte seine Eltern nie gekannt. Seine frühesten Kindheitserinnerungen waren die an schwarze Kutten und große weiße Hauben. An Nonnen. Im Alter von sieben Jahren war er an das Benediktinerkloster Greisheim übergeben worden; vorher hatte er im Benediktinerinnenkloster Schellingen gelebt. Man hatte ihm seinerzeit gesagt, er sei eine Waise.
     
    Wie Blitze durchzuckten ihn einzelne Erinnerungen.
     
    Er schrie. Eine Nonne sah auf seinen nackten Körper herab. Sie erbrach sich.
     
    Er tobte. Die Nonnen wagten es nicht, ihn anzufassen und zu beruhigen.
     
    Er weinte. Niemand nahm ihn in den Arm.
     
    Woher kamen diese verschütteten Erinnerungen? Er war sich ihrer nie bewusst gewesen.
     
    Er sehnte sich nach körperlichem Kontakt. Man hielt sich von ihm fern.
     
    Er zerfetzte seine Kutte und lief während der Messe mit dem nickenden Zwillingskopf auf dem Bauch durch den Altarraum. Der Priester stand mit offenem Mund da, und einige der Nonnen oben auf der Empore fielen schreiend

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