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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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die eine umlaufende Schrift aus hebräischen Buchstaben besaßen. In der Mitte prangte ein Pentagramm. Die Wände waren mit schwarzem Samt verhangen. Zwei siebenarmige Leuchter standen außerhalb des Kreises einander gegenüber; eine auf dem Boden liegende Räucherschale bildete zusammen mit ihnen die dritte Spitze eines Dreiecks. Einer der Juden entzündete die siebenarmigen Leuchter und steckte dann die Fackeln in die Wandhalterungen. Hilarius atmete tief ein. Was mochten ihre Folterwerkzeuge sein? Eines sah er schon: ein blankes, großes Messer, das auf einer Pritsche lag. Niemals hätte er es für möglich gehalten, vom Jäger zum Gejagten zu werden. Wie konnte so etwas jemandem zustoßen, der auf Gottes Seite kämpfte?
     
    Er wurde recht unsanft auf die Pritsche geworfen, nachdem Lejb Braunes vorher das Messer an sich genommen hatte. Und nun ging alles sehr schnell.
     
    Zwei Juden zogen ihm die Kutte hoch, sodass sein Gemächt frei lag. Braunes beugte sich über seinen Unterleib und setzte das Messer an.
     
    Der Schmerz war wie flüssiges Feuer. Er breitete sich von der Rute des Paters aus und floss hoch bis zu seinem Hirn. Er schnappte nach Luft und spürte, wie es unten feucht wurde. Einer der Juden kam mit einem weißen Tuch heran und wischte das Blut fort. Hilarius wurde es schwindlig, als er das dunkelrot gewordene Tuch sah. Blut von seinem Blute … Aber er verlor nicht das Bewusstsein.
     
    Dann schoben sie ihn auf der Pritsche in die Mitte des Kreises. »Was … was habt ihr mit mir vor?«, fragte Hilarius schwach. Er krallte sich mit den Fingern am Rand der Pritsche fest. Die Schmerzen hatten kaum nachgelassen. Sein ganzer Unterleib schien zu verbrennen. Doch die Schmerzen der Seele waren schlimmer. Nun war er äußerlich als Ungläubiger, als Jude zu erkennen. Niemand durfte diese Schmach je erfahren.
     
    Meisl stellte sich so nahe neben ihm, wie es die Grenze des konzentrischen Kreises erlaubte; er überschritt die roten Linien nicht. »Wir werden eine Ruach in diesen Kreis hineinbeschwören. Sie wird die Sinne und Gedanken deines zweiten Kopfes öffnen. Es wird vielleicht ein wenig wehtun …«
     
    »Was ist eine Ruach?«, fragte Hilarius ängstlich.
     
    »Eine Geistseele«, erklärte Meisl geduldig. »Sie wird sich mit dir verbinden, ohne selbst den Sheol zu verlassen. Du wirst durch sie Dinge sehen, die dir große Erkenntnis schenken werden.«
     
    Federlin ergänzte: »Es wird ein Geist sein, dessen Seele mit dir verwandt ist; ein Geist, dessen Seele du bereits zum Teil aufgenommen hast.«
     
    »Was meinst du damit?«, fragte Hilarius kläglich.
     
    »Ibbur. Deine Seele ist bereits geschwängert – von jener des Zauberers Laurenz Hollmann. Nun wird die Ruach, die ein Teil von ihm ist, sich mit dem anderen Teil von ihm, der bereits in dir steckt, vereinigen. Dann wird sich dein zweiter Kopf erheben. Dann hast du endlich zu dir gefunden. Dann bist du das lebende Abbild der Dualität von Gut und Böse.«
     
    Hilarius gab es auf. Das alles war nicht wahr, nicht wirklich. Hier waren Verrückte am Werk, die sich eine verworrene Weltsicht zusammengezimmert hatten. Er hätte sie ausgelacht – wenn er ihnen nicht ausgeliefert gewesen wäre.
     
    Sie begannen mit einem schauerlichen Gesang. Er verstand kein einziges Wort. Federlin hielt sich abseits und sah nur zu. Hilarius überlegte fieberhaft. Er glaubte keinen Augenblick an die irrsinnigen Ausführungen Federlins und der Juden. Warum sprang er nicht einfach auf und floh von diesem Ort des Wahnsinns?
     
    Er versuchte aufzustehen. Es gelang ihm nicht. Verwundert drehte er den Kopf nach rechts und links. Er lag ausgestreckt auf der Pritsche und konnte sowohl seine gespreizten Beine als auch seine Handgelenke sehen. Sie waren nicht festgebunden. Nichts hielt ihn.
     
    Nichts?
     
    Mit aller Kraft stemmte er sich gegen den Druck, der aus dem Nichts zu kommen schien. Der Gesang wurde lauter. Erschöpft ließ Hilarius den Kopf sinken und versuchte sich zu entspannen. Sein Herz raste. Die Schmerzen an seinem Gemächt klangen allmählich ab.
     
    Jetzt bückte sich David Tebel und schüttete etwas in die Räucherpfanne auf dem Boden. Es entzündete sich von selbst, denn ohne dass jemand ein Feuer an die Pfanne gehalten hatte, verbrannte das feine Pulver in einer bläulichen, ruhigen Flamme. Die Gesänge nahmen an Lautstärke und Inbrunst zu.
     
    Die Flamme hüpfte von der Räucherschale und trieb in das Innere des Kreises – auf Hilarius zu! Wie

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