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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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willkommen.« Dem Pater schien es indes ein völlig anderer Turm zu sein – ein Turm der Verwirrung und der Rätsel.
     
    »Ich bin Schemuel Meisl, der Älteste des Turms, und ich freue mich, dass das lange Warten unseres Volkes nun bald ein Ende haben wird. Doch es ist wichtig, dass die Dinge, die geschehen müssen, rasch geschehen, denn schon streicht der schwarze Atem des Adonaj Elohim über das Land.«
     
    »Was ist das?«, fragte Hilarius und sah auffordernd vom einen zum anderen.
     
    Sie sahen wieder einmal einander an; dann ergriff der Mann das Wort, der rechts von Meisl saß: »Erlaube mir, dass ich dir einige Erklärungen gebe. Ich bin Lejb Braunes. Vor Kurzem wurde in unserer geliebten, alten Stadt Prag die Pforte zu den Sefiroth aufgestoßen. Du weißt doch, was die Sefiroth sind?«
     
    Hilarius schüttelte den Kopf. »Ich mache mir nichts aus jüdischem Aberglauben«, sagte er und spuckte auf den Boden.
     
    Lejb Braunes überging diese Beleidigung. »Die Sefiroth sind die Emanationen des Tetragrammaton. Es sind zehn: Kether, Binah, Chochmah, Geburah oder auch Din genannt, Tiphereth, Gedullah oder auch Chesed genannt, Hod, Jesod, Nezach und Malkuth, die unterste der zehn. Ganz oben, über Kether, thront das unendliche Sein, En Soph. Eine Beziehung zu Adonaj Elohim ist niemals direkt möglich …«
     
    »Das ist Blasphemie!«, rief Hilarius dazwischen. »Natürlich ist das möglich. Jedes Gebet verschafft dem rechtgläubigen Christen einen unmittelbaren Zugang zu Gott! Es ist eure Gottesferne, die diese Unmittelbarkeit verhindert!«
     
    Lejb Braunes schüttelte traurig den Kopf. Andere seufzten auf. Braunes fuhr fort: »Auch eure Gebete verschaffen euch bloß Zugang zu der untersten Sefira. Nur durch die Vermittlung der Sefiroth kann Adonaj Elohim auf diese Welt einwirken.«
     
    »Was sind diese Sefiroth eigentlich?«, fragte Hilarius abfällig. »Dämonen?«
     
    »Nein, man kann sie sich als Kanäle vorstellen, durch die sich der Geist Adonaj Elohims ergießt. Aber gleichzeitig sind es auch Wesenheiten, die der Sphäre des Herrn zuzurechnen sind und seinen Sohar – seinen Glanz – weitergeben.«
     
    »Und warum erzählst du mir das alles?«, wollte Hilarius wissen. Er verstand kein Wort von dem sinnlosen Gerede der Juden. Unruhig rutschte er auf dem harten Stuhl umher. Sein Bauch begann wieder zu schmerzen.
     
    »Weil es schon seit Langem vorwitzige Kabbalisten gibt, die den Versuch unternehmen, die niedrigste Sefira gleichsam anzuzapfen. Bisher ist dies von allen ernsthaften Kabbalisten verworfen und verboten worden, doch wie es scheint, ist es einem Kabbalisten, der uns bedauerlicherweise unbekannt geblieben ist, gelungen, durch die Künste von Gematria, Notarikon und Temurah die Pforte zu errichten. Dafür musste er allerdings bezahlen. Die Pforte hat ihn verschlungen, und er selbst ist zu dieser Pforte geworden.«
     
    »Zu einer wandelnden Pforte«, ergänzte Schemuel Meisl. »Es hat die Schwärze in die Welt gebracht, er hat den schwarzen Atem des Herrn entfacht, und nun gilt es, diesen Atem zurückzudrängen.«
     
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Hilarius. Er hielt die Hände über dem Bauch gefaltet und versuchte, durch Druck auf den Zwillingskopf seine Schmerzen zu lindern. Es gelang ihm nicht.
     
    »Das ist doch ganz einfach«, sagte ein anderer Jude aus der Reihe der vierzehn, der sich als David Tebel vorstellte. »Die Pforte muss vernichtet werden, und dies kann nur dem Messias gelingen.«
     
    »Ich verstehe es immer noch nicht«, sagte er.
     
    »Nur das haSchem kann dem haSchem Einhalt gebieten. Unter dem Einfluss des haSchem, also der errichteten Pforte, muss das haSchem gezeugt und eins mit dem Vater werden. Dann verschwindet die Pforte und auch der schwarze Atem des Herrn, und die Ankunft des Messias dämmert herauf.«
     
    »Ihr behauptet also allen Ernstes, dass im Augenblick gleichsam ein göttlicher Funke in der Welt ist«, sagte Hilarius vorsichtig und zweifelnd.
     
    Meisl klatsche in die Hände. »Ganz richtig!«
     
    Hilarius überlegte laut weiter: »Aber warum seid ihr dann so versessen darauf, diesen Funken wieder aus der Welt zu tilgen? Seid doch froh, dass er da ist. Das beweist mir nur erneut, dass ihr mit Gott nichts am Hut habt, dass ihr ihn hasst und aus der Welt vertreiben wollt!«
     
    Nun griff Federlin in das Gespräch ein. »Redet nicht von Dingen, die Ihr nicht versteht!«, zischte er den Pater an.
     
    Der Kopf des Mönchs schnellte herum. Hilarius

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